„Mit dem neuen 15-Jahres-Technologieplan will China zum Technologieführer der Welt aufsteigen“

  • Stephen Li Jen
  • Eurizon

MÜNCHEN – China hat in kurzer Folge seinen neuen Fünf-Jahresplan, den 15-Jahres-Technologieplan und das asiatische Freihandelsabkommen verabschiedet, was bedeutsame Impulse für die chinesische Wirtschaft bringt, wie Stephen Li Jen, Manager des rund zwei Milliarden Euro schweren Eurizon Fund - Bond Aggregate RMB, im Interview betont.

Stephen, in China wurde der 14. Fünf-Jahresplan verabschiedet. Welche Aspekte dieses Plans dürften für westliche Investoren von besonderem Interesse sein?

Stephen Li Jen: Es handelt sich um einen absolut überraschenden politischen Plan, auf den alle achten sollten, nicht nur die Investoren, sondern auch die politischen Entscheidungsträger. Was den Inhalt des Plans betrifft, so gibt es einige wenige Schlüsselkomponenten:

Erstens wird China seine Anstrengungen hinsichtlich technologischer Entwicklungen beschleunigen. Um dies zu untermauern, wird es auch einen 15-Jahresplan im Bereich der Hochtechnologie für den Zeitraum 2020 bis2035 geben, so wie bereits 2005 für den Zeitraum 2005 bis2020. Der vorangegangene 15-Jahresplan für Technologie, der in den USA so viel unerwünschte Aufmerksamkeit auf sich zog, war darauf angelegt, China dazu zu bringen, den technologischen Rückstand gegenüber dem Rest der Welt aufzuholen, während es bei dem neuen 15-Jahres-Technologieplan darum gehen wird, einen Sprung nach vorn zu machen, um zum Technologieführer der Welt aufzusteigen.

Zweitens will China bedeutende Fortschritte beim Umweltschutz machen. Präsident Xi überraschte alle, als er bei der UN-Generalversammlung ankündigte, dass China bis 2060 die Kohlenstoffneutralität erreichen werde. Hierfür sollen unverzüglich Schritte eingeleitet werden. Dies ist von strategischer Bedeutung für China, um so genannte Soft Power in der Welt aufzubauen. Dieser Begriff bezeichnet die kulturelle Attraktivität einer Macht im internationalen Kontext. Und die könnte bei der Umsetzung des Vorhabens tatsächlich deutlich steigen, da China heute für etwa die Hälfte der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich ist. Das Umweltthema ganz oben auf die Tagesordnung zu setzen, sollte auch eine solide Grundlage für die Zusammenarbeit Chinas mit Europa bilden, in dem Wissen, dass Europa sich ebenfalls auf Umweltthemen konzentriert.

Drittens wird sich China auf die Entwicklung des inneren Kreises konzentrieren. Während eines Großteils der vergangenen 20 Jahre war China auf den „Außen-/Exportkreis“ fokussiert, das heißt auf den auch vom Ökosystem aus Handelspartnern und Zulieferern unterstützten Export in die Welt. Künftig wird China seinen Schwerpunkt nun aber auf die Entwicklung der Binnennachfrage verlagern und sich in der Importsubstitution engagieren. Das bedeutet, dass China versuchen wird, mehr selbst herzustellen und eine größere Selbstversorgung zu erreichen. Die Länder, die sich in der Vergangenheit an Chinas Fersen geheftet haben, werden wohl erkennen müssen, dass China ihre Waren und Dienstleistungen möglicherweise nicht mehr benötigt.

Viertens wird China seinen Finanzsektor weiter reformieren, um ausländische Investoren zum Kaufen und Halten chinesischer Vermögenswerte einzuladen. All dies ist für ausländische Investoren aus offensichtlichen Gründen wichtig.

Im allgemeinen Umfeld niedriger oder negativer Zinsen locken chinesische Renminbi-Anleihen mit hohen Renditen und einem Spread zu Dollar- und Euro-Bonds auf Rekordhoch. Was sind die Risiken?

Stephen Li Jen: Ein Hauptrisiko ist natürlich die Währung. Wenn ein Euro-basierter Anleger im Ausland investiert, ist er immer Wechselkursrisiken ausgesetzt. Was China betrifft, so bin ich jedoch der Ansicht, dass der Renminbi eine solide Währung ist, ähnlich wie es früher die D-Mark war. Klar, dass es auch beim Renminbi ein Auf und Ab geben wird, genau wie beim Euro, aber unter dem Strich sollte er sich angemessen verhalten, so wie es in den zurückliegenden Monaten der Fall war.

Das zweite Risiko ist ein möglicher Sell-off bei China-Anleihen, wenn sich die Wirtschaft weiter erholt. Die Renditen in China liegen bereits leicht über dem Niveau, das sie vor 2020 hatten. Daher bin ich nicht der Ansicht, dass sie noch sehr viel höher steigen können.

Das dritte Risiko ist das Konvertibilitätsrisiko. Was passiert, wenn es ein geopolitisches Ereignis gibt, wie etwa einen Krieg mit den USA in den kommenden Jahren. Würde China in diesem unwahrscheinlichen, aber möglichen Fall den Schuldendienst aussetzen?


Einige Analysten erwarten, dass Chinas Wirtschaft im Jahr 2021 um bis zu zehn Prozent wachsen kann. Teilen Sie diese Meinung? Und wenn ja, was bedeutet dies für die Zinsen in China?

Stephen Li Jen: Nach meiner Einschätzung erscheinen zehn Prozent zu hoch. Chinas Führung ist gar nicht auf ein solches Wachstum ausgerichtet. Vielmehr ist der Politik daran gelegen, einige Teile der Wirtschaft zu mäßigen, wie zum Beispiel den Wohnungsmarkt und die Infrastrukturinvestitionen der lokalen Regierungen. Ich erwarte das Trendwachstum in China eher bei fünf Prozent und in den kommenden Jahren sogar noch niedriger.

Falls dies allerdings doch eintreten sollte, werden die chinesischen Renditen wahrscheinlich weiter steigen. Dann muss man sich aber auch die Frage stellen, was nach 2021 geschieht. Im Jahr 2022 dürfte dann ein schwächeres Wachstum zu verzeichnen sein und die Renditen dürften wieder sinken.

Die US-Bürger haben mit Joe Biden einen neuen Präsidenten gewählt. Welchen Einfluss hat dies Ihrer Meinung nach auf die Entwicklung der Renminbi-Anleihen?

Stephen Li Jen: Um ehrlich zu sein, ist das noch nicht klar. Zwar könnte sich das Verhältnis zwischen den beiden Ländern geringfügig verbessern, aber es wird nicht zu dem Zustand vor der Trump-Ära zurückkehren. Die Welt hat sich in den vergangenen vier Jahren verändert, und China hat sich verändert. Während der Trump-Administration gab Präsident Xi die Begrenzung der Amtszeit für Präsidenten auf, und China erhöhte seine Aggression im Südchinesischen Meer. Diese Maßnahmen erforderten eine entschlossene Reaktion, die wir unter Präsident Trump gebührend erleben durften.

Aus denselben Überlegungen heraus könnte man den Schluss ziehen, dass Präsident Biden gegenüber China umgänglicher sein könnte – und institutionelle US-Anleger stärker daran interessiert, in chinesische Anleihen zu investieren.

Meine Sorge ist jedoch, dass sich die Demokraten traditionell mehr um Menschenrechte und die Umwelt sorgen. Inwieweit sie und Präsident Biden auf das reagieren werden, was China in Hongkong und Taiwan und der Uiguren-Region Xinjiang tun könnte, ist etwas, das ich, offen gesagt, nur schwer beurteilen kann. Insgesamt gehe ich also davon aus, dass sich das Umfeld für Renminbi-Anleihen unter Präsident Biden geringfügig, aber nicht allzu viel verbessern dürfte.

Welche Auswirkungen erwarten Sie vom neuen asiatischen Freihandelsabkommen RCEP auf Chinas Wirtschaft, auf die Währung und letztlich auf ausländische Investoren?

Stephen Li Jen: Dieses 15-Nationen-Freihandelsabkommen in Asien dürfte eher symbolisch gemeint sein als etwas, das enorme Fortschritte im freien Handel bringt, da viele der geplanten Zollsenkungen bereits in den verschiedenen Ländern erörtert werden. Allerdings untermauert die Unterzeichnung des regionalen Handelsabkommens die informellen Diskussionen. Zudem ist zu sagen:

Erstens dürfte die Globalisierung des Handels, zumindest in der uneingeschränkten und unausgewogenen Form, die sie in den vergangenen 20 Jahren angenommen hat, damit vorbei sein. An ihre Stelle tritt die „Handelsregionalisierung“. Die EU ist ein solches Beispiel, bei dem Deutschland stark nach Osteuropa und viel weniger nach China ausgelagert hat. Die deutsche Produktionspräsenz in China dient in erster Linie der Bedienung des chinesischen Markts, nicht des europäischen Markts. Ganz anders verhält es sich in den USA, wo die Unternehmen nach China ausgelagert haben, um wieder in die USA zu importieren. Dies ist ein Grund dafür, dass der Handel mit China in den USA zu einem so wichtigen sozialen und wirtschaftlichen Thema geworden ist, in Europa hingegen weniger. Die USA werden in ihrem Rückzug von der „Trade Globalisation 1.0“ wahrscheinlich mehr Produktion nach Nordamerika zurückbringen, auch nach Mexiko. Das ist es, was ich unter „Handelsregionalisierung“ verstehe.

Zweitens wird sich China nicht wie die ehemalige UdSSR isolieren lassen. Ich denke, es wird seinen politischen Schwerpunkt auf die „interne Zirkulation“ verlagern, aber seinen Exportsektor nicht aufgeben. Mit anderen Worten wird China zusätzliche Ressourcen für den Aufbau des Binnenmarkts einsetzen, aber dem externen Sektor nichts entziehen. Im Gegenzug erwarte ich, dass die asiatischen Länder weiter in das chinesische Ökosystem eingebunden werden, was es ihnen nahezu unmöglich machen wird, sich von China abzukoppeln, ganz gleich, was die USA sagen.

Drittens wird China die Zölle senken, was gut ist für den Rest der Welt. China ist die protektionistischste große Volkswirtschaft der Welt. Mit steigendem Wohlstand hat es mehr Vertrauen in die Öffnung seiner Wirtschaft gewonnen, indem es die Importzölle, die im Vergleich zu den Zöllen seiner Handelspartner immer noch hoch sind, gesenkt hat. Das ist sehr positiv für die Welt!

Über Stephen Li Jen
Stephen Li Jen ist CEO und Co-CIO von Eurizon SLJ Capital Ltd, vormals SLJ Macro Partners LLP, und Manager des rund zwei Milliarden Euro schweren Eurizon Fund - Bond Aggregate RMB. Vor seiner Zeit bei Eurizon war er vier Jahre als Ökonom beim IWF tätig und beschäftigte sich mit Volkswirtschaften in Osteuropa und Asien. Stephen Li Jen hat am Massachusetts Institute of Technology in Wirtschaftswissenschaften promoviert und an der University of California in Irvine (Summa Cum Laude) einen Bachelor-Abschluss in Elektrotechnik erworben.

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