„Wenn der Aktienmarkt steigt, erntet Trump die Lorbeeren und wenn er fällt, sind die anderen Schuld“

  • David Riley
  • Chief Investment Strategist BlueBay Asset Management

HEDGEWORK: Herr Riley, Sie sind Chefstratege von BlueBay Asset Management und Mitglied des Investment Komitees. Können Sie uns sagen, welche makroökonomischen Themen wir 2019 im Blickfeld haben müssen?
Riley: Das wichtigste Anlagethema 2019 ist sicher die Verschiebung der Ära der „quantitativen Lockerung“ zur Ära der „quantitativen Straffung“. Seit der globalen Finanzkrise haben die wichtigsten Zentralbanken die globalen Märkte mit mehr als 9 Billionen US-Dollar gestützt, allein 2017 mit 1,4 Billionen US-Dollar. Die Liquiditätsunterstützung für die Märkte war außergewöhnlich hoch.

2018 gingen die Anleihekäufe der Zentralbanken auf 340 Milliarden US-Dollar zurück, da die US-Notenbank durch ihre Bilanzverkürzung die Ära der quantitativen Straffung einläutete. 2019 wird das erste Jahr seit der globalen Finanzkrise sein, in dem die Bilanzsumme der wichtigsten Zentralbanken tatsächlich um mehr als 230 Milliarden US-Dollar schrumpfen wird. Für Anleger ist dies eine tiefgreifende Systemveränderung mit weitreichenden Folgen für ihre Portfolio-Strukturierung und ihre Wahl der richtigen Anlagestrategie.

Wenn man in Betracht zieht, was die quantitative Lockerung alles bewirkte: niedrige Zinsen, geringe Volatilität, überhöhte Preise für Vermögenswerte und eine geringere Streuung bei der Kursentwicklung. Anleger wurden weder für eine erfolgreiche Titelselektion belohnt noch wurden sie für eine schlechte Anleiheauswahl bestraft. Die Zentralbankliquidität förderte alle Asset-Klassen gleichermaßen. Es war ein Umfeld, in dem passive Anlagestrategien den aktiven bevorzugt wurden, Beta siegte über Alpha.

Eine quantitative Straffung bedeutet das genaue Gegenteil einer expansiven Geldpolitik: höhere Zinsen, höhere Volatilitäten und eine größere Streuung der Kursentwicklungen. 2018 war ein erster Vorbote für diese neue Ära.

Es ist noch wichtig zu betonen, dass sich die negative Korrelation zwischen Aktien und Anleihen - Fundament vieler Portfolios – mittlerweile verringert hat und weniger stabil ist. In diesem Umfeld müssen Anleger über andere Formen für Kapitalerhalt und alternative und diverse Renditequellen nachdenken. Hierzu gehören beispielsweise Private Debt, Real Assets und Long/Short Absolut-Return-Strategien.

HEDGEWORK: Wie machen Sie Ihr Portfolio widerstandsfähig gegen steigende Volatilität?
Riley: Eine Möglichkeit, die Volatilität und damit das Risiko zu reduzieren, ist die Verwendung von Makro-Portfolio-Hedges. In einem Anleiheportfolio sind unter anderem Aktien- und Devisenoptionen als Absicherung geeignet. So haben wir beispielsweise Optionen auf die Bewertung des Britischen Pfunds im Vergleich zum Euro eingesetzt, um unser Engagement in britische Banken teilweise abzusichern, da sich die Brexit-Krise verschärft hat.

Liquide Credit-Default-Indizes sind eine weitere Möglichkeit, um das Gesamt-Anleihen- und Marktrisiko in Portfolios taktisch zu erhöhen oder zu reduzieren. Eine stärkere Diversifizierung nach Regionen, Ländern und Sektoren und die Einbeziehung idiosynkratrischer Risiken in Total-Return-Multi-Asset-Portfolios ist eine weitere Möglichkeit, die Volatilität zu reduzieren.

HEDGEWORK: Geben Sie uns einen Einblick in Ihren Handelsraum: Sind Sie eher erleichtert, dass die quantitative Lockerung vorbei ist, weil Sie jetzt Ihr Fachwissen unter Beweis stellen können oder steigt der Druck, nun Ergebnisse ohne die Hilfe der Liquiditätsspritzen zu erzielen?
Riley: Das System der quantitativen Straffung führt dazu, dass aktive Anleger leichter die durch die expansive Geldpolitik reduzierten Beta-Renditen durch Alpha-Renditen mittels Fundamentalanalyse idiosynkratischer Risiken verbessern können. Eine stärkere Streuung der Wertentwicklung impliziert höhere Erträge durch die Titelauswahl. Wir haben umfangreiche Analystenteams, Modelle und ein breites Spektrum an Daten- und Informationsquellen, einschließlich sozialer Medien, um einen Wettbewerbsvorteil bei der Ermittlung von Investitionsmöglichkeiten auf Makro- und Mikroebene zu erzielen.

Allerdings ist dies auf der Makro-Seite auch sehr herausfordernd, wenn Gesellschaft und Politik immer weniger vorhersehbar werden, wie beispielsweise der Anti-Globalisierungs- und Anti-Marktwirtschaftspopulismus der Linken und Rechten. Auch Donald Trumps Agenda ist gegen die Globalisierung gerichtet, der Brexit oder die 5-Sterne-Liga-Koalition in Italien sind eine Ablehnung des europäischen Multilateralismus. Und wir sehen, dass der Populismus und Nationalismus auch in den Schwellenländern, wie beispielsweise in Brasilien, zunimmt. Politische und gesellschaftliche Unsicherheit müssen in den Investitionsprozess einbezogen werden.

HEDGEWORK: Seit der quantitativen Lockerung haben passive Anlageprodukte bei Marktschwankungen enorm an Einfluss gewonnen, weil ihnen enorme Gelder zufließen. Wie sehen Sie die Beziehung zwischen passiven und aktiven Anlegern?
Riley: Meiner Einschätzung nach hat die Revolution der passiven Anlageprodukte den Anlegern einen günstigen Zugang zum Markt-Beta verschafft, insbesondere bei börsennotierten Aktien. Aber in weniger liquiden und komplexeren Märkten wie Anleihen mit niedrigerem Rating sowie Schwellenländern-Anleihen sind passive Produkte nicht so günstig und nicht so effektiv bei der Generierung von Beta.

Da passive Investments mittlerweile einen bedeutenden Marktanteil haben, tragen sie zu extremeren Marktschwankungen bei und können den Markt weniger effizient machen bezogen auf die Art und Weise, wie Informationen verarbeitet und Preise festgestellt werden. Dies schafft Gelegenheiten für aktive Investoren.

Die Anleger verfolgen eine Barbell-Strategie, indem sie in günstige passive Produkte investieren, um Beta zu generieren und zusätzlich mehr Mittel für „reines Alpha“ aufwenden, indem sie ihre Allokationen in alternativen Strategien – beispielsweise Hedge-Fonds – und alternativen Assets erhöhen.

HEDGEWORK: Zu Ihren globalen wirtschaftlichen Aussichten: Welche Wachstumsrate erwarten Sie für 2019 und was werden die Hauptwachstumstreiber sein?
Riley: Im Moment gehen wir davon aus, dass sich die Weltwirtschaft im Vergleich zu 2018 etwas verlangsamen wird. 2019 sollte die Weltwirtschaft jedoch um rund 3,5 Prozent zulegen. Die US-Wirtschaft hat immer noch eine positive Dynamik, sie wird noch immer stark von Steuersenkungen und erhöhten Staatsausgaben unterstützt.

Hingegen hat die Eurozone hinsichtlich ihrer Markterwartungen 2018 enttäuscht, sie liegt aber weiterhin über dem Trend. Wir erwarten für 2019 ein Wachstum von rund 1,5 Prozent. Die Treiber der Inlandsnachfrage sind immer noch stabil: Beschäftigung, Löhne und Einkommen steigen. Zudem erhöhen die Unternehmen ihre Ausgaben, nachdem sie lange unterinvestiert waren. Der größte Risikofaktor für Europa ist jedoch China. Ein Teil der aktuellen Schwäche der europäischen Wirtschaft ist auf den nachlassenden Welthandel und die abflauende chinesische Wirtschaft zurückzuführen. Nach unserer Einschätzung haben sich die chinesischen Behörden in der ersten Hälfte des vergangenen Jahres sehr stark auf den Schuldenabbau konzentriert, was die Wirtschaft, die Infrastruktur- und die Investitionsausgaben verlangsamte. Aber jetzt ändern sie ihre Politik, sie sind wachstumsfreundlicher und stellen sicher, dass sich die Wirtschaft nicht weiter verlangsamt.

Natürlich wird China aufgrund der politischen Spannungen mit den USA schwierige Zeiten durchmachen, aber wir glauben, dass die Sorgen der Finanzmärkte angesichts des globalen Wachstums übertrieben sind. In Bezug auf die globalen Wachstumsraten, die Aussichten für Unternehmensgewinne sowie die erwarteten Ausfallraten bleiben wir weiterhin positiv.

HEDGEWORK: Welche Hauptrisiken sehen Sie für die Schwellenländer im Jahr 2019?
Riley: Schwellenländer sind für Investoren eine interessante Region. Sie waren jedoch wegen ihrer Performance 2018 nicht sehr gefragt. Bei einer quantitativen Straffung sind höhere US-Zinssätze und ein starker US-Dollar für Länder mit hohem Fremdfinanzierungsbedarf, wie etwa die Türkei oder Argentinien, nicht gerade förderlich. All dies hat jedoch nicht zu einer systemischen Krise in den Schwellenmärkten geführt, die Fundamentaldaten der meisten Schwellenländer sind immer noch robust. Wenn es nicht zu einer Eskalation zwischen den USA und China im Handelsstreit kommt, sind die Wachstumsaussichten für die Schwellenländer weiterhin positiv, die Bewertung von Vermögenswerten bleibt attraktiv.

Der Internationale Währungsfonds prognostiziert, dass aufgrund der Outperformance der Schwellenländerwerte die Wachstumslücke zwischen den Industrieländern und den Schwellenländern in den nächsten zwei bis drei Jahren tatsächlich wachsen wird. Es gibt interessante Investitionsmöglichkeiten in den aufstrebenden Märkten, aber es ist wichtig, die richtigen auszuwählen und flexibel zu reagieren.

HEDGEWORK: Erwarten Sie, dass die Fed 2019 ihren Leitzins weiter anheben wird und wo werden die Zinsen enden?
Riley: Ja, der Markt preist zum Ende des Zinserhöhungszyklus 2018 nicht einmal eine einzige Zinsanhebung der Fed für das Gesamtjahr 2019 ein.

Aufgrund unserer Einschätzung der US-Wirtschaft sehen wir das anders. Wir gehen davon aus, dass die Arbeitslosigkeit auf den niedrigsten Stand seit mehreren Jahrzehnten fällt und dass die Löhne in den USA weiter steigen werden. Ein über dem Trend liegendes Wachstum, eine sehr geringe und fallende Arbeitslosenquote sowie steigende Löhne werden die US-Notenbank dazu ermutigen, die Zinsen 2019 noch dreimal auf bis zu 3,25 Prozent anzuheben.

HEDGEWORK: US-Notenbank-Chef Jerome Powell hat seine Aussagen kürzlich vorsichtiger formuliert. Denken Sie, dass er für seine Politik einsteht oder wird er sich dem Druck von Donald Trump beugen?
Riley: Die US-Notenbank als Institution ist stark genug, einem Twitter-Sturm von Donald Trump zu widerstehen. Wenn der Aktienmarkt steigt, will Trump die Lorbeeren dafür ernten, aber wenn der Aktienmarkt fällt, gibt er anderen die Schuld, einschließlich der Fed. Aber der Populismus rückt die Zentralbanken auf der ganzen Welt mehr ins politische Rampenlicht. Ich denke, die US-Notenbank wird das tun, was sie für richtig hält, um ihre Ziele, nämlich stabile Preise und Vollbeschäftigung, zu erreichen.

HEDGEWORK: Wenn die politische Unsicherheit zunimmt, was bedeutet das für die Aktienmärkte? Werden wir 2019 neue Höchststände im Dow Jones sehen?
Riley: Aktienmärkte reagieren für gewöhnlich auf volkswirtschaftliche Wachstumsraten und Unternehmensgewinne. Obwohl die Wachstumsrate bei den Unternehmensgewinnen 2019 voraussichtlich bei respektablen 8 bis 9 Prozent liegen wird, wird sie damit dennoch geringer ausfallen als 2018. Damit wird es gleichwohl schwerer für eine Rallye an den Aktienmärkten. Aber das Wachstum sollte für Anleihen gut genug sein, selbst wenn es das nicht für Aktien ist.

Politische Unsicherheit, wie etwa die US-Handelspolitik, bedeutet ebenfalls Gegenwind für Aktienmärkte und wachstumssensitive Werte. Aber dies schafft auch Gelegenheiten für Anleger, die in der Lage sind, Gewinner und Verlierer einer veränderten Handelspolitik oder Regulierung zu erkennen.

HEDGEWORK: Mit Peter Praet und Benoît Cœuré verlassen einige Mitglieder den EZB-Rat dieses Jahr. Die wichtigste Personalie ist natürlich das Ende der Amtszeit von Mario Draghi. Was denken Sie, wer wird ihm folgen und welche Auswirkungen könnte dies haben?
Riley: Es gibt in der Tat einige Änderungen bei der EZB. Es sieht danach aus, dass Philip Lane, Gouverneur der irischen Zentralbank, Peter Praet als Chefvolkswirt ersetzen wird. Philip Lane ist als Ökonom und Kommunikator sehr angesehen.

Was die Nachfolge von Mario Draghis betrifft, weiß ich keine Antwort. Dies wird sicher eine sehr bedeutsame Ernennung, da derjenige das Ende der Negativzinsen einleiten muss. Ich hoffe, dass es jemand wird, der die Glaubwürdigkeit und das intellektuelle Geschick eines Mario Draghi besitzt und dabei innovativ und kreativ genug ist, ohne dabei die Ziele der EZB zu gefährden. Die EZB ist als Zentralbank einzigartig in einer Währungsunion mit so vielen souveränen Regierungen und Anleihemärkten. Sie muss daher in meinen Augen flexibel und innovativ agieren.

HEDGEWORK: Was ist Ihre Sicht zu möglichen neuen TLTROs?
Riley: Es ist durchaus wahrscheinlich, dass die EZB neue TLTROs auflegen und die Banken so mit weiterer Liquidität versorgen wird. Ich halte dies auch für angemessen. Drei- bis vierhundert Milliarden Euro TLTROs werden 2020 auslaufen. Banken müssen diese Verbindlichkeiten refinanzieren und es wird eine echte Finanzierungsherausforderung für sämtliche europäische Banken werden, nicht nur für die italienischen. Ich gehe davon aus, dass die EZB ein neue TLTRO-Programm verkünden wird, das die Finanzierungsbedingungen für europäische Banken erleichtert und so unangemessen straffe Anleihebedingungen in der gesamten Eurozone verhindert.

HEDGEWORK: Wo sehen sie die Haupt-Refinanzierungsrate der EZB Ende 2019?
Riley: Im Moment erhöhen sich die Risiken, was dafür spricht, dass die EZB die Zinsen 2019 nicht anheben wird. Der Markt preist die erste Zinserhöhung der EZB für März 2020 ein. Aber ich bin, was den europäischen Ausblick angeht, optimistischer als das, was die Märkte in der Eurozone einschließlich der Anleihemärkte erwarten lassen. Es gab eine große Neubewertung wachstumssensitiver Werte in Europa sowie einen Rückgang der Renditen bei Staatsanleihen, wozu auch Bundesanleihen gehörten. Ich denke immer noch, dass die EZB die Zinsen bis Ende 2019 moderat anheben wird und beim Einlagenzinssatz anfängt, ohne den Haupt-Refinanzierungszinssatz zu verändern.

Herr Riley, vielen Dank für das Interview.

 

Das Interview führte Holger Sieland. 

 

Vita
David Riley kam im September 2013 zu BlueBay und übernahm die Rolle des Head of Credit Strategy innerhalb des Chief Investment Office. Zudem ist er Mitglied des Investment- und Asset Allocation-Komitees von BlueBay. Er verfügt über mehr als 20 Jahre Erfahrung in den Bereichen der abgewandten Makroökonomie, Politik und Staatsanleihen und berät und koordiniert die Makroinvestitionsstrategie des Anlageausschusses. Als Mitglied des Asset Allocation-Kommitees trägt er Verantwortung für die taktische Asset Allocation über die Multi Asset-Anleihefonds von BlueBay. David war zuvor der globale Leiter der Sovereign and Supranational Group bei der Ratingagentur Fitch und verantwortlich für mehr als 130 Ratings der weltweit größten Emittenten von festverzinslichen Wertpapieren. Vor seiner Zeit bei Fitch war David Senior Economist bei der UBS Investment Bank und bei HM Treasury, wo er in internationalen Wirtschafts- und Schuldenfragen beriet, einschließlich der Vertretung Großbritanniens bei internationalen Umschuldungsverhandlungen beim Pariser Club of Official Creditors. David hat den Abschluss Master of Science (MSc) vom Birkbeck College der University of London und schloss sein Studium der Wirtschaftswissenschaften mit Auszeichnung ab.

BlueBay ist Spezialist für Fixed-Income-Management und nimmt eine einzigartige Position an der Schnittstelle zwischen traditionellem und alternativem Asset Management ein. Das in London beheimatete Unternehmen hat eine starke Präsenz in Europa und investiert weltweit mehr als 60 Mrd. US-Dollar für institutionelle Anleger und Finanzinstitute über das gesamte Fixed-Income-Spektrum. Die Palette reicht dabei von aktiven Portfolios mit Benchmarks über alternative Strategien bis zu Private Debt. Das Unternehmen möchte seinen Kunden optimale Ergebnisse liefern und fördert eine Performance-orientierte Kultur in Verbindung mit Innovation und Kollaboration. Ziel ist die Positionierung als respektierter und führender Asset Manager durch die Umsetzung von auf Integrität, Transparenz und Respekt basierenden Werten, die seit der Gründung 2001 als Leitbild des Unternehmens dienen. BlueBay hat Niederlassungen in Großbritannien, der Schweiz, Deutschland, Luxemburg, den USA, Japan und Australien. BlueBay Asset Management LLP befindet sich zu 100 Prozent im Besitz der Royal Bank of Canada und ist Teil von RBC Global Asset Management. BlueBay Asset Management LLP wird durch die britische Finanzaufsicht FCA zugelassen und reguliert.

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