„Vorsprung durch nachhaltige Führung“

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  • Jessica Milano (li.)
  • John Streur
  • Calvert Research and Management

MÜNCHEN – In Krisensituationen kommt es ganz besonders auf eine qualifizierte Unternehmensführung an, so die Erkenntnisse von Jessica Milano und John Streur von Calvert Research and Management. Insbesondere mit einer ESG-orientierten Führung können Manager in der Corona-Krise punkten.

Bei einer starken Unternehmensführung geht es um mehr als nur um die Ausführung – es geht um Führung im wahrsten Sinne des Wortes. Dabei lässt sich einiges über die Führung eines Unternehmens lernen, wenn darauf geachtet wird, wie es in Krisenzeiten reagiert. Das galt während der Finanzkrise 2008 und gilt ebenso in der Corona-Krise. Eine rasch eskalierende Reaktion auf die Ausbreitung von Covid-19 in Europa und den USA hat dazu geführt, viele Grenzen zu schließen, die normalen Geschäftsaktivitäten einzufrieren und die Lieferketten zu unterbrechen, was die Managementteams stärker belastet als in mehr als einem Jahrzehnt zuvor.

Die mittlere Amtszeit von CEOs in Großunternehmen beträgt etwa fünf Jahre. Die meisten haben ein Unternehmen noch nie direkt durch eine wirtschaftliche Rezession geführt, und keiner hat den doppelten Schock einer Krise des öffentlichen Gesundheitswesens in Verbindung mit einer gleichzeitigen Rezession erlebt. Dennoch verstehen alle die existenzielle Bedrohung ihrer Unternehmen und den Druck, das Wohlergehen von Aktionären und Mitarbeitern in Zeiten von Marktturbulenzen auszubalancieren. Darüber hinaus können die Unternehmen mehr Input von ihren Vorständen erwarten – eine 2019 durchgeführte Umfrage der National Association of Corporate Directors ergab, dass 86 Prozent der befragten Vorstandsmitglieder beabsichtigten, ihr Engagement in Bezug auf neue Wachstums- und Risikotreiber in den nächsten fünf Jahren zu verstärken.

Die Krise scheint zwar unmittelbar zu sein, aber eine Reaktion, die langfristig angelegt ist, wird einem Unternehmen am ehesten helfen, schnell zur langfristigen Produktivität seiner Belegschaft zurückzukehren und sogar den Markenwert und das Vertrauen der Investoren zu steigern. Calverts Researchteam entwickelt momentan einen eigenen C-19 Preparedness and Response Factor, der es ermöglichen wird, Unternehmen danach zu bewerten, wie gut sie auf die Pandemie vorbereitet waren und wie sie in der Krise reagiert haben.

Konsequente Reaktionen
In einigen Fällen haben Unternehmen auf das Virus genauso reagiert, wie sie sich mit den Risiken des Klimawandels auseinandergesetzt haben, was auch ein Indikator dafür sein kann, wie sie mit zukünftigen Krisen umgehen könnten. Diesbezüglich stimmen viele Antworten der Unternehmen auf Covid-19-Fragen grundsätzlich ermutigend. Einige scheinen bereits die Lehren aus dem Hurrikan Katrina gezogen und ihre Prioritäten und Unternehmenskultur angepasst zu haben. Es ist augenscheinlich, dass die Unternehmen erkannt haben, dass ESG-Faktoren für ihr Geschäft und ihre Rentabilität von Bedeutung sind.

Eine Anfang April von Morningstar veröffentlichte Analyse belegt, dass nachhaltige Fonds im ersten Quartal 2020 ihre konventionellen, nicht nachhaltigen Pendants übertroffen haben, und zwar auf der Grundlage eines Vergleichs der Renditen von 206 offenen und börsengehandelten US-Nachhaltigkeitsfonds mit anderen Fonds in ihren jeweiligen Anlagekategorien. Morningstar ermittelte, dass 70 Prozent der nachhaltigen Aktienfonds im ersten Quartal 2020 in den oberen Hälften ihrer Kategorien rangierten und 44 Prozent sogar im obersten Quartil. Nur elf Prozent fanden sich im unteren Quartil wieder, während alles in allem in vielen Fällen die nachhaltigen Fonds ihre Benchmarks übertrafen.

Langfristige Managementperspektive
Die aktuelle Situation gibt den Unternehmenslenkern die Gelegenheit, in der Öffentlichkeit zu zeigen, dass sie die Bedeutung aller Interessengruppen, nicht nur der Aktionäre, erkennen und die Bedürfnisse aller in Einklang bringen können. Bei den Technologieplattformen könnte die Covid-19-Krise das Vertrauen einer Nutzerbasis, die über die wachsende Macht der großen Technologieunternehmen besorgt ist, entweder aufbauen oder aushöhlen.

Google etwa hat eine Führungsrolle übernommen, indem das Unternehmen sich mit der US-Regierung zusammengetan hat, um eine Website zu entwickeln, die sich mit der zuverlässigen Aufklärung über Covid-19, Prävention und Ressourcen befasst. Außerdem bemüht sich Google, die Menschen vor Fehlinformationen zu schützen, indem schädliche Inhalte entfernt werden, wie Videos, die für unbewiesene Methoden zur Prävention oder Heilung von Covid-19 werben oder die gefälschte Bewertungen und irreführende Informationen über Krankenhäuser und Kliniken enthalten. Diese Art von Projekten erfordert Führungsstärke, um kurzfristig Ressourcen zu verlagern, könnte allerdings auch Vorteile für technische Plattformen bringen, die sich in Krisenzeiten als vertrauenswürdig erweisen.

Gesundheit und Sicherheit der Mitarbeiter
Die Gesundheit vieler Unternehmen ist eng mit der Gesundheit ihrer Mitarbeiter verbunden. Eine Beeinträchtigung der Produktivität durch Krankenstand und Abwesenheit liegt nicht im besten langfristigen Interesse der Aktionäre. Führende Unternehmen haben schnell auf die Richtlinien zur öffentlichen Gesundheit reagiert, um das Social Distancing aufrechtzuerhalten und den Mitarbeitern die Möglichkeit zu bieten, von zu Hause aus zu arbeiten, um produktiv zu bleiben. Beispielsweise stellte die Intercontinental Exchange die NYSE schnell und vollständig auf elektronischen Handel um, damit die Sicherheit der Mitarbeiter und der Handelsgemeinschaft gewährleistet ist. Morgan Stanley und Citigroup wiederum kündigten schon früh in der Krise an, dass sie in dieser Zeit von Entlassungen absehen würden. Viele andere Banken verzichten auf Krankheitsurlaub für Mitarbeiter, die von Covid-19 betroffen sind.

Pflege der Kundenbeziehung
Viele Unternehmen haben zudem erkannt, wie wichtig es ist, die Kunden über einen längeren Zeitraum gut zu informieren und mit den notwendigen Lebensmitteln und Grundnahrungsmitteln zu versorgen. Einige Anbieter von Telekommunikations- und Internetdiensten haben versprochen, den Dienst ohne Unterbrechungen aufrechtzuerhalten, indem sie bei Kunden, die nicht bereits über einen unbegrenzten Internetzugang zu Hause verfügen, auf die Gebühren für zu hohe Datenübertragungsraten verzichten und die Geschwindigkeiten in Programmen für einkommensschwache Abonnenten erhöhen.

Firmen, die Luxusgüter herstellen, wie LVMH, kündigten wiederum die Umnutzung der Produktionsanlagen für ihre Parfüm- und Kosmetikmarken an, um größere Mengen an Desinfektionsmitteln herzustellen. Mehrere große nationale Einzelhändler schließlich unternahmen Schritte, um sicherzustellen, dass die Regale bei einem Ausbruch von Panikkäufen in den USA gefüllt bleiben, und die nationalen Apothekenketten boten die kostenlose Lieferung von Medikamenten auf Rezept an, um zu verhindern, dass ältere oder gebrechliche Menschen nach draußen gehen müssen, um notwendige Arzneien zu besorgen. Diese Führungsrolle in Krisenzeiten kann den Markenwert mit Kundenbindung noch lange nach Abklingen der aktuellen Pandemie steigern.

Fazit: Unternehmen mit einer starken Unternehmensführung und dem Schwerpunkt darauf, die Gemeinschaft wohlbehalten durch die Covid-19-Pandemie zu bringen, sollten für einen langfristigen Erfolg besser positioniert sein. Unternehmen, die langfristig denken, die Gesundheit und Sicherheit der Mitarbeiter an die erste Stelle setzen und die Kunden gut bedienen, sollten so positioniert sein, dass sie in ihren Branchen eine Führungsposition einnehmen können.

Jessica Milano ist Director ESG Research bei Calvert Research and Management, einer Tochtergesellschaft von Eaton Vance Management. Sie ist verantwortlich für das ESG-Research und identifiziert und analysiert jene Faktoren, die für die Unternehmensleistung und deren gesellschaftliche Auswirkungen am bedeutendsten sind.

John Streur ist President & CEO bei Calvert Research and Management. Er ist seit 2015 für Calvert tätig und hat in dieser Zeit das Unternehmen zu einem Investmentmanager umstrukturiert, der auf verantwortungsbewusste und nachhaltige Investitionen auf den globalen Kapitalmärkten spezialisiert ist.

Hinweis: Dieser Beitrag ist zuerst erschienen in TiAM – Trends im Asset Management 02/2020
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