Unabhängig vom Markt Gewinne erzielen
Marktneutrale Strategien bieten Renditen, die nicht mit den Aktien- und Anleihemärkten korreliert sind. So können Investoren mit Long/Short-Fonds das Marktrisiko begrenzen oder sogar ganz ausschließen. Sie können dabei nicht nur von steigenden, sondern auch von fallenden Kursen profitieren. Zur Auswahl stehen neben qualitativen Ansätzen, bei denen ein Manager die Auswahl der Aktien vornimmt, auch quantitative Strategien.

- Dirk Wohleb
- Finanzjournalist
Drei oder vier Mal wird die US-Notenbank in diesem Jahr die Zinsen anheben, erwartet laut Bloomberg die Mehrheit der Analysten. Doch in Europa ist die Zinswende noch nicht in Sicht. So dementierte Mario Draghi, Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), unlängst sogar ein schnelles Ende des Anleihekaufprogramms. Der Anlagenotstand für vorsichtige Investoren hält also an. Die meisten Beobachter gehen davon aus, dass die EZB frühestens im ersten Halbjahr 2019 die Zinsen anheben wird.
Wenn Investoren ihr Vermögen also erhalten wollen oder einen Zuwachs nach Berücksichtigung der Inflationsrate erzielen möchten, ist das mit festverzinslichen Wertpapieren kaum noch möglich. So werfen Bundesanleihen selbst bei einer Laufzeit von zehn Jahren gerade einmal eine Rendite von 0,55 Prozent per annum ab. Andererseits nehmen an den Aktienmärkten die Schwankungen zu, die Risiken steigen. Nach neun Jahren könnte der Aktienrally allmählich die Luft ausgehen. Auch bei Immobilien sind die Aussichten nach den starken Preissteigerungen der vergangenen Jahre eher bescheiden. Das Renditeniveau von klassischen defensiven Anlagen ist mittlerweile so niedrig, dass es oft nicht einmal mehr die Kosten der Fonds deckt.
Umso wichtiger werden in diesem schwierigen Umfeld Anlagen, die unabhängig von der Entwicklung des Marktes positive Renditen erwirtschaften können. Marktneutrale Strategien sind derzeit eine ideale Beimischung. Ihr Ziel ist es, einen Wertzuwachs unabhängig vom Markt zu erzielen, auch bei sinkenden Kursen, um in schlechten Zeiten Verluste im Gesamtportfolio auszugleichen.
Marktneutrale Investments verbessern das Rendite-Risiko-Profil im Portfolio: „Die Korrelation zwischen Aktien und Anleihen hat deutlich zugenommen“, sagt der Kölner Vermögensverwalter und Dachfondsmanager Eckhard Sauren. „Deswegen ist eine Diversifikation mit diesen Anlageklassen nicht mehr möglich.“ Auch aus diesem Grund seien marktneutrale Strategien ein wichtiger Baustein für institutionelle Investoren, aber auch für Privatanleger. Er empfiehlt einen Portfolioanteil von 20 bis 25 Prozent. Viele dieser Angebote laufen unter dem Label „Absolute Return“. Aber Vorsicht ist geboten: Nicht immer halten die Strategien, was sie versprechen. „Entscheidend ist, ob die Produkte tatsächlich marktneutral sind oder nicht doch eine Gewichtung zum Markt haben. Das sollten Investoren bei der Auswahl beobachten“, empfiehlt Sauren, der selbst einen Dachfonds für Absolute-Return-Strategien managt. Viele vermeintlich marktneutrale Strategien hätten nach der langen Aktienmarktrally noch immer ein Exposure zum Aktienmarkt, so der Experte.
Verschiedene Varianten bei marktneutralen Strategien: Grundsätzlich zählen diese Produkte zu den alternativen Investments und lassen sich beispielsweise mit einem Long/Short-Ansatz auf Aktien in einem Fondsmantel umsetzen. Bei aktienorientierten Strategien bauen die Fonds durch die gezielte Titelauswahl Long-Positionen auf, um von steigenden Börsenkursen zu profitieren. Gleichzeitig setzen sie mit Short-Positionen auf sinkende Kurse. Die Varianten sind vielfältig: Klassische marktneutrale Strategien haben etwa zum Ziel, das Netto-Exposure zum Markt so gering wie möglich zu halten, also das Aktienmarktrisiko so weit wie möglich zu eliminieren. Direktionale Strategien gehen hingegen gezielt ein Exposure ein. Sie positionieren sich im Markt, wollen also neben Alpha auch Beta generieren. Auch gehebelte Produkte sind möglich – die Übergänge zwischen den verschiedenen Varianten sind fließend.
Stellt sich die Frage, ob Long/Short-Produkte bei institutionellen Anlegern ankommen? „Auf jeden Fall“, meint Ali Masarwah, Fondsexperte der Ratingagentur Morningstar. „Gerade Institutionen benötigen einen risiko-reduzierenden Zugang zum Aktienmarkt, was ja diese Kategorie verspricht und auch liefert.“ Zugleich bekommen sie damit eine reduzierte Volatilität. So brachten Long/Short-Fonds mit Fokus Aktien Europa in den vergangenen drei Jahren eine Volatilität von 7,8 Prozent pro Jahr. Beim Aktienindex MSCI Europe lag diese indes bei 12,1 Prozent. Der Preis dafür: „Die Performance bleibt in Aufschwungphasen hinter dem Aktienmarkt zurück. Im aktuellen Marktumfeld erwirtschafteten diese Fonds andererseits im Schnitt eine rote Null, während der MSCI Europe gut 3,2 Prozent verlor“, so Masarwah.
Für Anleger in Europa ist das Angebot im Bereich der Long/Short-Aktienfonds deutlich gestiegen. Das größte Segment umfasst Produkte, die in europäische Aktien investieren. Das verwaltete Vermögen beläuft sich hier auf gut 27 Milliarden Euro, gefolgt von Long/Short-Fonds für globale Aktien (16 Milliarden Euro), Long/Short Aktien UK (13 Milliarden Euro) und Long/Short Equity USA (5 Milliarden Euro). Insgesamt finden sich allein bei der Ratingagentur Morningstar acht eigene Long/Short-Fondskategorien.
Bei der Auswahl der Fonds kommt es wiederum entscheidend auf den Manager an: „Im Wesentlichen sind es dieselben Faktoren, die auch bei Long-Only-Fonds gelten: Expertise des Managements, Robustheit des Investmentprozesses, Nachvollziehbarkeit der Performance und die Kosten“, erklärt Masarwah. Für Vermögensverwalter und Dachfondsmanager Sauren ist die Qualität des Fondsmanagers der wichtigste Faktor für die Fondsauswahl: „Er sollte über einen längeren Zeitraum und in verschiedenen Marktphasen gezeigt haben, dass er eine stringente Investmentphilosophie verfolgt.“
Das Team von Sauren führt immer wieder intensive Gespräche, um sich von der Qualität des Managers zu überzeugen. „Nur wenn wir von der Qualität und Konsistenz des Ergebnisses überzeugt sind, investieren wir auch.“ Seine Investmentideen kreiert ein Long/Short-Fondsmanager ebenso wie ein reiner Long-Manager, nur dass er gezielt auch mit Unternehmen gewinnen kann, von deren Qualität er nicht überzeugt ist.
Zu den herausragenden Long/Short-Managern zählt Moni Sternbach, wie Sauren betont: Dieser setzt mit seinem MAN GLG European Mid Cap Alternative auf europäische Mid-Caps, verfolgt einen Long/Short-Ansatz und richtet das Portfolio marktneutral aus. Er begann seine Karriere als Analyst und Portfoliomanager bei Gartmore Investment und verfügt über ein breites Netzwerk an Unternehmenskontakten. Sternbach strukturiert ein Portfolio mit detailliert analysierten Positionen auf der Long- und Short-Seite. „In unseren Interviews überzeugte Moni Sternbach mit seinem Wissen über die ausgewählten Titel und mit seinen Überlegungen zur Portfoliostrukturierung. Mit dem Man GLG European Mid-Cap Equity Alternative konnte Moni Sternbach seit Auflegung Ende März 2015 relativ unabhängig von der Marktentwicklung einen attraktiven positiven Ertrag erwirtschaften“, lobt Sauren.
Zugleich kann ein Long/Short-Manager nur erfolgreich sein, wenn auch die Rahmenbedingungen stimmen. Dazu zählt beispielsweise das Volumen. Sternbach hat bei seinem Fonds eine Obergrenze von 800 Millionen US-Dollar gesetzt. Ein weiteres zentrales Kriterium für die Auswahl von marktneutralen Produkten: Alpha zu generieren macht auf jenen Märkten am meisten Sinn, die relativ wenig von Analysten gecovert werden. „Je ineffizienter ein Markt ist, desto mehr Alpha kann der Manager gewinnen“, betont Sauren. So sei es in den USA beim wichtigsten Aktienindex S&P 500 kaum möglich, dauerhaft Alpha zu erzielen. Sauren empfiehlt daher, das Alphapotenzial jedes Marktes genau unter die Lupe zu nehmen. „Im DAX 30 ist es schwierig, schlauer zu sein als der Markt. Deswegen würden wir auch nicht in eine Alpha-Strategie auf den DAX investieren“, erklärt Sauren.
Neben der qualitativen Fondsauswahl wie bei Sauren, zeigt der Fonds FT Alpha Europe Market Neutral von Frankfurt-Trust, wie ein quantitativ verwaltetes marktneutrales Portfolio aussehen kann: Hier übernimmt der Computer die Auswahl der Unternehmen, die das Potenzial haben sollten, besser abzuschneiden als der Markt. Die Leistung des Fondsmanagements liegt vor allem in der Auswahl der Selektionskriterien. Der Vorteil der quantitativen Ansätze besteht darin, dass sie in viel kürzerer Zeit ein großes Spektrum an Unternehmen unter den unterschiedlichsten Aspekten analysieren können. Bauchgefühl und Emotionen spielen hingegen keine Rolle.
Beim FT Alpha Europe Market Neutral werden Aktien nach fünf Faktoren ausgewählt: Zum einen gehen fundamentale Faktoren zur Bewertung in die Analyse ein. Zudem werden mittels markttechnischer Instrumente Trends und Risiken bewertet. Daneben nimmt der Computer auch die vorherrschende Stimmung zu dem Unternehmen und die Ausschüttungen unter die Lupe. Der Fonds setzt also auf verschiedene Sub-Strategien, um Alpha zu erschließen. Das macht Sinn: Bei Managern die nur unterbewertete Aktien bevorzugen, kann es länger dauern, bis der Gesamtmarkt diese Unterbewertung erkennt und die Kurse steigen.
Der FT Alpha Europe Market Neutral schließt das Marktrisiko durch eine Short-Position auf den Gesamtmarkt aus. Auf der Long-Seite werden 50 Unternehmen ausgewählt, die besonders attraktiv erscheinen. Das Anlageergebnis beträgt unterm Strich die Performance der selektierten Aktien bereinigt um die Marktrendite. Der Fonds nimmt aber keine makroökonomische Positionierung vor und trifft hinsichtlich der Märkte auch keine aktiven Allokationsentscheidungen. In einem Umfeld, das von politischen Events geprägt ist, kann das allerdings zu Verwerfungen führen. So zum Beispiel während des Brexits. Der unerwartete Ausgang des EU-Referendums führte zu einer massiven Abwertung des britischen Pfunds gegenüber dem Euro und dem US-Dollar. Die Marktbewegungen waren sogar stärker als nach der Lehman-Pleite 2008, was zu einer starken Underperformance von britischen Aktien aus dem Mid-Cap-Segment führte, die im Fonds stark übergewichtet waren. Solche Entwicklungen kann der Computer bei seinen Investmententscheidungen nicht berücksichtigen.
Auch in breit investierenden Multi-Asset-Portfolios können alternative Investmentkonzepte zum Einsatz kommen: „In den vergangenen 20 Jahren haben diese Fonds die Vorteile des Haltens von Aktien und Anleihen ausgenutzt, bei dem jeweils die eine Assetklasse dem Abschwung der anderen entgegenwirkte. Im aktuellen Marktumfeld geht diese Rechnung aber nicht mehr auf“, sagt Christopher Childs, Portfoliomanager Factor Investments bei BMO Global Asset Management. „Marktneutrale Strategien machen daher auch in Multi-Asset-Fonds Sinn, um Risiken zu reduzieren und das Portfolio zu diversifizieren.“
Mit Long/Short-Strategien lässt sich nicht zuletzt vom Wandel der Wirtschaft durch die Digitalisierung profitieren. Sie bringt neue Geschäftsmodelle mit sich, die Grenzen zwischen Branchen lösen sich auf und neue Produkte und Dienstleistungen entstehen. So verändert sich die Lage im Einzelhandel massiv, der E-Commerce wächst überdurchschnittlich stark, der stationäre Handel lässt nach. Diese Überzeugung könnten Anleger mit einer Long-Position auf einen E-Commerce-Händler und einer Short-Position auf einen traditionellen Einzelhändler umsetzen. Doch ob Do-it-yourself-Strategie oder gemangte Fondsvariante: Ausgewählte marktneutrale Strategien verbessern die Risiko-Rendite-Struktur im Portfolio. Es lohnt sich daher, Zeit in die Umsetzung und die Produktauswahl zu investieren.
Dirk Wohleb bist freier Wirtschafts- und Finanzjournalist. Er arbeitet seit mehr als 20 Jahren für Tageszeitungen und Wirtschaftsmagazine. Thematisch liegen seine Schwerpunkte im Bereich Asset Management und Nachhaltigkeit.