„Taxonomie Verordnung – Technische Bewertungskriterien und kein Ende …“

- Swantje Teller (li.)
- Marcus Columbu
FRANKFURT – Seit Juli 2020 ist die Taxonomie-Verordnung „als Herzstück zur Erreichung einer nachhaltigeren Finanzwirtschaft“ in Kraft. Viele Investoren wissen jedoch nach wie vor nicht damit umzugehen. Marcus Columbu und Swantje Teller, Rechtsanwälte bei AC Tischendorf, wollen dem abhelfen.
„Die Europäische Union hat mit dem „EU-Aktionsplan zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums“ vom 8. März 2018 die Neuausrichtung privater Kapitalflüsse zur Erreichung einer nachhaltigeren Finanzwirtschaft („Sustainable Finance“) beschlossen. Zuletzt ist am 12. Juli 2020 das Herzstück des Projekts, die sogenannte „Taxonomie-Verordnung“, in Kraft getreten, die definiert, welche Wirtschaftstätigkeiten denn in Zukunft als nachhaltig zu betrachten sein sollen und damit ein einheitliches, europaweites Klassifikationssystem schafft.
Taxonomie-Verordnung
Eine wirtschaftliche Aktivität ist nach der Taxonomie-VO dann als nachhaltig zu bewerten, wenn sie einen wesentlichen Beitrag zu mindestens einem von sechs neu festgelegten Umweltzielen (1) Klimaschutz, (2) Anpassung an den Klimawandel, (3) Schutz von Wasser- und Meeresressourcen, (4) Kreislaufwirtschaft, (5) Vermeidung von Umweltverschmutzung, (6) Biodiversität und Ökosysteme leistet. Dabei darf sie keine signifikante Beeinträchtigung der anderen Ziele bewirken und nicht gegen soziale Mindeststandards verstoßen.
Schließlich muss die Wirtschaftstätigkeit – und hierum geht es in diesem Beitrag – auch im Einklang mit noch festzulegenden technischen Bewertungskriterien stehen. Diese werden zu allen sechs oben genannten Umweltzielen separat und zeitlich gestaffelt in Form von delegierten Rechtsakten der Europäischen Kommission festgelegt.
Bis zum 31. Dezember 2020 soll die Kommission zu den beiden ersten Umweltzielen „Klimaschutz“ und „Anpassung an den Klimawandel“ einen solchen delegierten Rechtsakt, der ab dem 1. Januar 2022 gelten soll, erlassen. Dazu ist nun ein erster Entwurf erschienen, über den derzeit zusammen mit der Sachverständigengruppe der Mitgliedsstaaten für nachhaltiges Finanzwesen beraten wird:
Was wird neu geregelt?
Die technischen Bewertungskriterien zur Bestimmung unter welchen Bedingungen davon auszugehen ist, dass eine Wirtschaftstätigkeit einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz leistet (Umweltziel 1), werden in Anhang I des delegierten Rechtsakts festgelegt.
Dezidiert werden dort zunächst sämtliche wirtschaftlichen Tätigkeiten aus den folgenden neun Oberbereichen beschrieben: (1) Land- und Forstwirtschaft, (2) Umweltschutz- und Wiederherstellungsaktivitäten, (3) Verarbeitungsindustrie, (4) Energie, (5) Wasser-, Ab-wasser-, Abfall- und Sanierungssektor, (6) Verkehr, (7) Bau- und Immobilienwesen, (8) Informations- und Kommunikationsbranche, (9) Forschung, Entwicklung und Innovation.
Spiegelbildlich werden die technischen Bewertungskriterien für Wirtschaftstätigkeiten, die zur Anpassung an den Klimawandel beitragen (Umweltziel 2) gesondert in Anhang II des delegierten Rechtsakts festgelegt. Als Besonderheit gilt, dass zusätzlich die Oberbereiche (10) Finanz- und Versicherungstätigkeiten, (11) Bildung, (12) Gesundheit und Sozialarbeit sowie (13) Kunst, Unterhaltung und Erholung hinzukommen.
Beispiel: Wirtschaftliche Tätigkeiten aus dem Oberbereich (10) Finanz- und Versicherungstätigkeiten werden definiert als Versicherungsdienstleistungen (mit Ausnahme von Lebensversicherungen) im Zusammenhang mit der Versicherung von klimabedingten Gefahren, die wiederum in Anlage A dargestellt werden. Dies könnte insofern z.B. eine Sachversicherung sein, die durch Waldbrände entstandene Schäden versichert.
Die nach den genannten Oberbereichen geclusterten wirtschaftlichen Tätigkeiten sind dann einzelnen technischen Bewertungskriterien unterworfen. Erst ist festgelegt, wann die entsprechende Tätigkeit einen erheblichen Beitrag für das Umweltziel (hier: Klimaschutz oder Anpassung an den Klimawandel) leistet.
Beispiel: Finanz- und Versicherungstätigkeiten, also z.B. die erwähnte Sachversicherung, leisten einen erheblichen Beitrag für die Anpassung an den Klimawandel, wenn sie – kumulativ mit einer Fülle an weiteren Kriterien – z.B. risikobasierte Belohnungen für vorbeugende Maßnahmen der Versicherungsnehmer bieten. Wenn ein Versicherungsnehmer also in risiko-spezifische Anpassungsmaßnahmen investiert hat. Eine weitere Voraussetzung ist, dass die Schadensdaten Behörden oder Wissenschaftlern für die Zwecke der Verbesserung der Anpassung an den Klimawandel kostenlos bereitgestellt werden.
Anschließend wird für die wirtschaftliche Tätigkeit definiert, wann genau sie keinem der anderen Umweltziele einen erheblichen Schaden zufügt.
Beispiel: Für die genannten Finanz- und Versicherungstätigkeiten werden nur mögliche negative Auswirkungen auf das Umweltziel „Klimaschutz“ problematisiert. Finanz- und Versicherungstätigkeiten fügen demnach diesem Ziel keinen erheblichen Schaden zu, wenn sie nicht die Versicherung der Gewinnung, Lagerung, des Transports oder der Herstellung fossiler Brennstoffe oder die Versicherung der Nutzung von Fahrzeugen, Eigentum oder anderen Vermögenswerten für diese Zwecke umfasst.
Erfüllt die konkrete wirtschaftliche Tätigkeit schließlich die vorbenannten Parameter – leistet sie also einen erheblichen Beitrag zum Klimaschutz bzw. zur Anpassung an den Klimawandel und schadet sie dabei keinem der anderen Umweltziele – gilt sie nach der Taxonomie als ökologisch nachhaltig.
Ausblick
Die Europäische Kommission wird auch alle anderen Umweltziele sukzessiv delegierten Rechtsakten mit technischen Bewertungskriterien unterwerfen, die Sie dann im Rahmen Ihrer New-Product- und Produktanpassungsprozesse sowie in Ihrem Tagesgeschäft be-rücksichtigen müssen.“
Marcus Columbu ist Rechtanwalt und Partner sowie Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht bei AC Tischendorf und leitet die Praxisgruppe Banking, Regulatory, Capital Markets. Er berät mittlere bis große Finanzdienstleister und Asset Manager sowie einige Banken in den Bereichen Regulatory und Compliance bei Projekten und ihrem regulatorischen Tagesgeschäft. Er ist daneben ausgelagerter Chief Compliance Officer mehrerer Asset Manager und Finanzdienstleister sowie ESG-Beauftragter und zudem als Aufsichtsrat tätig.
Swantje Teller ist Rechtsanwältin bei AC Tischendorf und Teil der Praxisgruppe Banking, Regulatory, Capital Markets. Sie berät mittlere Finanzdienstleister sowie Privatbanken in den Bereichen Regulatory und Compliance sowie zu verschiedenen Haftungsfragen des Bankrechts. Daneben vertritt sie Finanzdienstleister und Banken bei der Abwehr von Schadensersatzklagen aufgrund vermeintlicher Falschberatung und Prospekthaftung. In diesem Zusammenhang bearbeitet sie gemeinsam mit Marcus Columbu die erste Musterfeststellungsklage mit finanzrechtlichem Schwerpunkt.