Stagflationsrisiko – Die Geister der 1970er Jahre

  • Norman Villamin
  • UBP

FRANKFURT – „Der Einmarsch Russlands in der Ukraine hat eine humanitäre Krise ausgelöst und die Risiken einer Stagflation für die Weltwirtschaft erhöht, so Norman Villamin, CIO bei UBP. Er vergleicht den aktuellen Angebotsschock bei Öl und Erdgas mit den Auswirkungen des vierten Arabisch-Israelischen Kriegs, der die Stagflationsära der 1970er Jahre einleitete.


Ab hier folgt der unredigierte Marktkommentar von Norman Villamin, CIO Wealth Management and Head of Asset Allocation bei Union Bancaire Privée (UBP):

Genauso wie 1973 leide auch 2022 das Vertrauen der amerikanischen und europäischen Verbraucher durch die steigende Inflation infolge der wirtschaftlichen Öffnung nach der Pandemie und konfrontiere Haushalte mit einem Anstieg der Rohölpreise von über 20 Prozent seit Anfang Februar. Villamin verweist darauf, dass die straffere Politik der Fed im März 1974, als sie den Leitzins in nur vier Monaten um 560 Basispunkte erhöhte, zu einem massiven Einbruch des Vertrauens der US-Unternehmen führte und den Einkaufsmanager-Index auf den zweitniedrigsten Stand in der Geschichte der Umfrage sinken ließ.
Mehrkosten für Verbraucher
„Investoren sollten die Bedeutung der geldpolitischen Reaktionen auf das Energieembargo von 1973 für die wirtschaftliche Stagnation und der darauffolgenden tiefen Rezession nicht verkennen“, sagt Villamin. Ermutigend sei jedoch, dass die winterliche Gasknappheit in Europa im Jahr 2021/22 einen Testlauf für die fiskalische Reaktion der EU auf hohe Energiepreise sei und auf die Bereitschaft hindeute, zumindest die Auswirkungen der Mehrkosten für die europäischen Verbraucher abzufedern. Auch in den USA wurde in den letzten Wochen ein Gesetz zur Aussetzung der US-Bundesbenzinsteuer eingebracht, was auf eine ähnliche fiskalische Bereitschaft hindeutet die Auswirkungen auf Verbrauch und Wirtschaft – insbesondere mit Blick auf die Zwischenwahlen im November 2022 – zumindest teilweise abzufedern.

Die USA und Europa haben nun Sanktionen gegen die russische Zentralbank verhängt und versuchen, russischen Banken den Zugang zum SWIFT-Konsortium zu beschränken. Villamin schreibt: „Die Wahrscheinlichkeit wächst, dass der größte Teil des russischen Handels mit der Welt letztendlich eingeschränkt wird, sodass Russland sich möglicherweise in der Gesellschaft von Nordkorea, Venezuela und Iran wiederfindet.“

Venezuela und Iran seien zwar wie Russland große Energieproduzenten, jedoch verblassen sie im Vergleich mit den russischen Öl- und Gasexporten von über 6 bis 7 Millionen Barrel pro Tag. Da Russland außerdem den Welthandel mit wichtigen Getreidesorten und Industriemetallen dominiere, hätten die Sanktionen gegen Russland das Potenzial, einen weitreichenderen Schock bei der Rohstoffversorgung auszulösen als 1973.

Dilemma der Zentralbanken: Rezession oder Inflation
Sollten die massiven im Raum stehenden Sanktionen umgesetzt werden, stehen die westlichen Zentralbanken Villamin zufolge vor der Wahl, eine ähnliche Geldpolitik wie in den 1970er Jahren zu verfolgen, die zu tiefen Rezessionen während des gesamten Jahrzehnts führte, oder Inflation zuzulassen, um das Wachstum aufrechtzuerhalten.

Jetzt da die Geister der 1970er Jahre einen Schatten auf die Märkte werfen, sollten Anleger auf hohe Qualität bei Aktien- und Anleiheerträgen achten und einen Fokus auf proaktives Risikomanagement setzen, um den im Vergleich zum letzten Jahrzehnt häufigeren und ausgeprägteren Volatilitätsspitzen zu begegnen. Daneben eigneten sich Privatmarktanlagen wie Private Debt oder Infrastruktur, um längeren Phasen erhöhter Inflation zu begegnen.

Zurückzum Seitenanfang