Risikooptimierung durch smartes Risikomaß CVaR

  • Prof. Martin T. Schulz

MÜNCHEN – Der Conditional Value at Risk ist die natürliche Erweiterung des VaR. Die asymetrische Risikomessung mit dem CVaR konzentriert sich auf besonders ungünstige Marktentwicklungen – und ermöglicht so die vollständige Ausschöpfung des Ertragspotenzials bei gleichzeitig effektiver Risikobegrenzung – von Prof. Martin T. Schulz.


Ab hier folgt die unredigierte Mitteilung des Autors:

„Ein modernes Risikomanagement umfasst verschiedene Komponenten. Neben dem Ziel, die Risiken einer Geldanlage zu identifizieren, zu modellieren und zu messen, nimmt insbesondere auch die aktive Steuerung dieser Risiken, die Bewertung der relevanten Risikofaktoren und schließlich auch die Wahl des Risikomaßes eine zentrale Rolle im Rahmen dieses Prozesses ein.
Mit dem Conditional Value at Risk (CVaR) wird im Folgenden ein Risikomaß näher vorgestellt, das eine natürliche Erweiterung des spezifischen Risikomaßes Value at Risk (VaR) darstellt und im Rahmen des Risikomanagements zunehmende Verbreitung findet.

Definition von VaR und CVaR

Der VaR hat sich in den vergangenen Jahren zu einem Standardrisikomaß entwickelt und beschreibt den maximalen Verlust eines Portfolios, der innerhalb eines bestimmten Zeithorizonts (zum Beispiel ein Jahr) mit einer vorgegebenen Wahrscheinlichkeit (von zum Beispiel 95 Prozent) nicht überschritten wird. Der VaR liefert dem Anleger somit eine Indikation über den größten Verlust, der in 95 der nächsten 100 Jahre nicht überschritten wird. Was aber passiert in einem der fünf schlechten Jahre? Von welchem Verlust ist dann auszugehen? Auf diese Fragen liefert der VaR keine Antwort. Hier kommt der Conditional Value at Risk ins Spiel, der den erwarteten Verlust einer Geldanlage bestimmt, und zwar für den ungünstigen Fall, dass der VaR unterschritten wird.
Die Risikomessung greift beim CVaR somit ausschließlich auf diejenigen Renditen einer Geldanlage zu, die den VaR unterschreiten, und konzentriert sich damit auf besonders ungünstige Marktentwicklungen, wie sie bei Börsencrashs, ausbrechenden kriegerischen Handlungen, Terroranschlägen oder Naturkatastrophen auftreten können.

Aus mathematischer Sicht beschreibt der CVaR zum sogenannten Konfidenzniveau 1-α (etwa in Höhe von 95 Prozent) den erwarteten Verlust in den fünf Prozent der schlechtesten Fälle und ist als Mittelwert über das α-Quantil der zugrunde gelegten Renditeverteilung definiert. Um nicht von negativen VaR- beziehungsweise CVaR-Größen sprechen zu müssen, hat sich in der betrieblichen Praxis eingebürgert, das Vorzeichen zu ändern, das heißt das Ergebnis der VaR- beziehungsweise CVaR-Berechnung mit minus eins zu multiplizieren.

Beträgt der CVaR eines Portfolios bei einem Konfidenzniveau von 95 Prozent und einem Zeithorizont von einem Jahr also beispielsweise drei Prozent, so bedeutet dies, dass der Portfolioverlust in den fünf schlechtesten der kommenden 100 Jahre im Mittel drei Prozent beträgt.
Im folgenden Anwendungsbeispiel wird ein Anleger betrachtet, der bereit ist, für das kommende Jahr 100 000 Euro am deutschen Kapitalmarkt zu investieren. Aus Gründen der Risikodiversifikation strebt er eine Anlage in einen DAX-ETF an, wobei er sich den Risiken des Kapitalmarkts bewusst ist und bei ungünstigen Marktentwicklungen einen Verlust von 25 Prozent in Kauf nimmt.

Alternative A

Unter der Annahme, dass der ETF im Laufe des kommenden Jahres maximal 50 Prozent verliert, könnte der Anleger somit die Hälfte seines Vermögens in den DAX investieren und die andere Hälfte „sicher“ als Bankeinlage deponieren, beispielsweise in Form eines als risikolos angenommenen Tagesgeldkontos mit einer Verzinsung von null Prozent. Tritt nun der schlechteste aller angenommenen Fälle ein und der DAX verliert im Lauf des nächsten Jahrs tatsächlich 50 Prozent, so hat der Anleger zumindest die angestrebten 75 000 Euro gesichert: Davon liegen 50 000 Euro auf dem unverzinsten Tagesgeldkonto, und der ETF hat immerhin noch einen Wert von 25 000 Euro.
Während die Risikorestriktion des Anlegers erfüllt wurde, offenbart diese Strategie in „normalen“ Marktphasen allerdings deutliche Nachteile. Schließlich ist nur die Hälfte der vorhandenen Investitionssumme im ETF investiert, sodass der Anleger nur zu 50 Prozent am DAX partizipiert und bei positiven Marktentwicklungen Renditeeinbußen in Kauf nehmen muss.

Alternative B

Der Anleger formuliert seine Risikotragfähigkeit im Sinne einer CVaR-Restriktion, indem er im Lauf des nächsten Jahres dazu bereit ist, bei einem Konfidenzniveau von 99 Prozent einen CVaR in Höhe von 25 Prozent zu tragen. Der Anleger nimmt somit das Risiko in Kauf, im schlechtesten einen Prozent aller Fälle einen durchschnittlichen Verlust von 25 000 Euro zu erleiden.
Unter der Annahme, dass der Anleger ein tägliches Monitoring seiner Investition vornimmt (oder vornehmen lässt), kann er nun die vollen 100 000 Euro am Kapitalmarkt investieren und bei guten Marktentwicklungen auch zu voller Höhe daran partizipieren. Gleichzeitig wird der CVaR des ETF täglich neu berechnet und die Risikorestriktion jeden Tag aufs Neue überprüft.

Im Falle einer erstmaligen Verletzung der Risikotoleranz wird der ETF verkauft und der Erlös bis Jahresende auf das risikolose Tagesgeldkonto umgeschichtet. Somit wird sichergestellt, dass bei einer anhaltend schlechten Marktphase der Verlust nicht weiter ansteigt und der Anleger am Jahresende zumindest seine Risikorestriktion weitestgehend erfüllt. Im Unterschied zu Alternative A sind nun allerdings 100 000 Euro am Kapitalmarkt platziert, sodass der Anleger das Renditepotenzial des DAX vollständig ausschöpfen und die Chancen des Kapitalmarkts nutzen kann.
Der Tatsache, dass bei der CVaR-Berechnung ein Konfidenzniveau von 99 Prozent unterstellt wird und damit die Bedingung des Anlegers mit einer geringen Wahrscheinlichkeit theoretisch auch verletzt werden könnte, kann beispielsweise durch eine Reduzierung des Risikobudgets von 25 Prozent auf 20 Prozent Rechnung getragen werden.

Darüber hinaus bestehen Möglichkeiten zur Renditeoptimierung, indem nicht nur auf ein Produkt gesetzt wird (wie in unserem Beispiel auf den DAX-ETF), sondern vielmehr auf ein optimiertes riskantes Portfolio, bestehend aus einer Vielzahl unterschiedlicher Produkte. Zudem kann in die Anlagestrategie ein Marktwiedereintritt integriert werden, um nach einer bereits erfolgten Umschichtung auf das unverzinste Tagesgeldkonto von einer Markterholung zu profitieren.

Der Conditional Value at Risk stellt eine moderne, asymmetrische Form der Risikomessung dar, die in Verbindung mit dynamischen Risikomanagementprozessen zunehmend an Bedeutung gewinnt. Wie das Berechnungsbeispiel zeigt, ermöglicht diese Form der Risikosteuerung eine wirksame Begrenzung des Risikos bei gleichzeitig vollständiger Ausschöpfung des Ertragspotenzials.“

Vita Prof. Dr. Martin T. Schulz
Der Autor ist seit Frühjahr 2013 Professor für Quantitative Methoden und Finanzierung an der Technischen Hochschule Aschaffenburg. Zuvor war er bei der risklab GmbH für die Umsetzung innovativer Investmentkonzepte und die Entwicklung kundenspezifischer Risikosteuerungsansätze verantwortlich.

Hinweis: Dieser Beitrag ist zuerst erschienen in TiAM – Trends im Asset Management 03/2020
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