Passivität ist verantwortungslos

- Ingo Speich
- Deka
FRANKFURT — Portfoliomanager scheuen allzu oft das aufwendige Abstimmungsprozedere bei Hauptversammlungen und lassen ihr Stimmrecht verfallen. Ein Missstand, der sich dringend ändern muss, wie Ingo Speich von der Deka befindet. Investoren wünschen sich, dass ihre Interessen von den Asset-Managern aktiv vertreten werden.
Die Verantwortung als Aktionär und damit als Eigentümer eines Unternehmens endet nicht mit dem Kauf einer Aktie. Eine detaillierte und dauerhafte Auseinandersetzung mit dem Geschäftsmodell eines Unternehmens ist von zentraler Bedeutung. Das sieht auch die Mehrheit der deutschen privaten Wertpapierbesitzer so.
Mehr als 70 Prozent von ihnen möchten, dass ihre Fondsgesellschaft sie aktiv auf den Aktionärsversammlungen vertritt. Und die Anleger haben klare Vorstellungen, für welche Themen ihre Fondsgesellschaft sich vor allem einsetzen sollte: Deutlich auf Platz 1 steht eine verantwortungsvolle Unternehmensführung, gefolgt von sozialen und ökologischen Kriterien. Nur Dividenden und Kursgewinne zu vereinnahmen, greift demnach zu kurz. Gut die Hälfte der Befragten ist außerdem davon überzeugt, dass durch ein aktives Engagement der Fondsgesellschaften der Aktienkurs der betroffenen Unternehmen langfristig steigen wird. Das sind einige der Ergebnisse einer repräsentativen YouGov-Umfrage, die im Auftrag der Deka durchgeführt wurde.
Institutionelle Investoren scheuen zudem oftmals das aufwendige Abstimmungsprozedere und lassen ihre Stimmen verfallen. Allerdings soll die anstehende Aktionärsrechterichtlinie institutionelle Anleger wie beispielsweise Pensionskassen stärker in die Pflicht nehmen, ihre Stimmrechte auch tatsächlich auszuüben und darüber zu berichten. Diese Pflichten und Rechte müssen sie aber nicht selbst ausüben, das kann auch die Fondsgesellschaft übernehmen, bei der die Gelder angelegt sind.
Druck der Aktionäre nimmt zu
Eine öffentliche Plattform, die Anlegerinteressen mit Nachdruck zu vertreten, bieten Hauptversammlungen, auf denen die wichtigen Entscheidungen für die Unternehmen getroffen werden. Dort bekommen diese zunehmend den Druck der Investoren zu spüren. Abstimmungsergebnisse von nahezu 100 Prozent gehören der Vergangenheit an. In der diesjährigen Hauptversammlungssaison wurden die Aufsichtsräte nur noch mit durchschnittlich 93 Prozent entlastet, Vergütungsprogramme wurden nur mit einer Quote von 85 Prozent angenommen. Ein Beispiel war die Bayer-Hauptversammlung: Mehr als die Hälfte der Aktionäre hat dem Vorstand die Entlastung verweigert. Das hatte zwar zunächst keine direkten Konsequenzen, war aber dennoch ein unüberhörbarer Warnschuss.
Das kritische Votum der Aktionäre geht also in die richtige Richtung. Denn eine gute Unternehmensführung und nachhaltiges Wirtschaften sind der Schlüssel für den langfristigen Erfolg eines Unternehmens. Die Aktionäre werden bei ihrer Anlage neben der Rendite auch darauf immer mehr achten und das ist auch zwingend erforderlich. Denn Passivität ist hier gleichzusetzen mit Verantwortungslosigkeit.
Asset-Manager sind in der Pflicht
Um Verantwortung zu übernehmen, baut die Deka ihre Corporate-Governance-Aktivitäten immer weiter aus. Zuletzt verschärfte sie – noch vor Start der diesjährigen Hauptversammlungssaison – ihre Abstimmungsrichtlinien. Eine Stellschraube, um Einfluss auf ein Unternehmen auszuüben, ist dessen Vergütungssystem. Die Vergütung darf das Management nicht verleiten, kurzfristige Ziele zu erreichen und unangemessene Risiken einzugehen. Das kann zu Fehlentwicklungen führen.
Stattdessen sollten relevante Kriterien aus den Bereichen Umwelt, Soziales und Unternehmensführung, sogenannte ESG-Kriterien (Environmental, Social, Governance), im Unternehmensfokus stehen. Also genau die Kriterien, die den Anlegern am wichtigsten sind. Die Deka plädiert deshalb dafür, bei der variablen Vergütung des Topmanagements einen Malus einzuführen. Das heißt, nicht nur positive Entwicklungen mit einem Bonus zu belohnen, sondern bei grob sittenwidrigem Verhalten den Managern die Bezüge zu kürzen. Eine solche Clawback-Klausel muss künftig ein fester Bestandteil der Vergütungssysteme in den Unternehmen sein.
Aber nicht nur das Management, auch dessen Kontrolle spielt eine wichtige Rolle. Die Deka setzt sich deshalb für kompetente und unabhängige Aufsichtsräte ein, deren Mitglieder ausreichend Zeit für diese Aufgabe mitbringen. Der Aufsichtsrat muss in der Lage sein, den Vorstand bei seinen Aufgaben zu beraten und zu beaufsichtigen. In Deutschland gibt es dabei deutliche Lücken.
Im Detail fordert die Deka für die Aufsichtsräte deshalb eine internationalere Besetzung, um der extremen Exportorientierung gerecht zu werden, die Aufnahme von Digitalisierungsexperten, um den notwendigen Transformationsprozess in allen Bereichen voranzutreiben, sowie einen Turnus zur Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern von drei Jahren, um auf geänderte Anforderungen im Geschäftsmodell auch mit neuen Kompetenzen im Aufsichtsrat nachziehen zu können. Nicht zuletzt setzt sich die Deka für eine stärkere Präsenz von Frauen in den Aufsichtsräten ein.
Diese Themen voranzutreiben, ist harte Detailarbeit. Dafür stehen die Deka-Fondsmanager in einem ständigen Dialog mit den Topmanagern der Unternehmen und – wenn notwendig – auch mit deren Aufsichtsräten. Mit jährlich rund 2000 solcher Gespräche begleiten sie die Unternehmen als konstruktiver Partner und fordern notwendige Änderungen aktiv ein.
Gerade im direkten Gespräch mit den CEOs oder CFOs der Konzerne werden Strategie, Ausrichtung und langfristige Perspektiven kritisch hinterfragt. Wenn diese Gespräche nicht zum gewünschten Ziel führen, bleibt als nächster Schritt die Öffentlichkeit, also der Auftritt auf der Hauptversammlung und die aktive Nutzung der Stimmrechte.
Dieses Jahr hat die Deka auf 13 Hauptversammlungen das Wort ergriffen, unter anderem bei Bayer, weil das ehemals kerngesunde Unternehmen sich ohne Not mit dem Monsanto-Virus infiziert hat und das Management bislang kein Mittel dagegen entwickeln konnte. Grund für öffentliche Kritik gab es auch bei der Deutschen Bank, weil hohe Boni gezahlt wurden, obwohl die Profitabilität des Konzerns weiterhin zu wünschen übrig ließ. Bei RWE war es das Beharren auf der Abholzung des Hambacher Forstes, das dem Ansehen des Versorgers erheblich geschadet hat. Bisher stimmte die Deka für ihre aktiv gemanagten Fonds und ihre ETFs im Jahr 2019 auf rund 300 Hauptversammlungen mit über 4000 Tagesordnungspunkten ab.
Noch reichlich Luft nach oben
Insgesamt geht die kritische Auseinandersetzung der Aktionäre mit den Unternehmen in die richtige Richtung. Doch der Anteil der professionellen Aktionäre, der tatsächlich abstimmt, ist mit rund 65 Prozent nach wie vor zu gering. Zieht man hier noch die Anteile der Familien- und Ankeraktionäre ab, dürfte die Zahl deutlich niedriger ausfallen. Es ist also noch reichlich Luft nach oben.
Ingo Speich leitet seit April 2019 den Bereich Nachhaltigkeit und Corporate Governance der Deka Investment. Zuvor war der Diplom-Kaufmann und CFA Charterholder seit 2004 bei Union Investment als Senior Portfoliomanager tätig und für die Gruppe ESG Capital Markets & Stewardship verantwortlich.
Hinweis: Dieser Beitrag ist zuerst erschienen in TiAM – Trends im Asset Management 03/2019
Falls Sie sich für TiAM interessieren, klicken Sie bitte hier