Nachhaltigkeit bedeutet Anlegen mit Augenmaß

- Prof. Dr. Thomas Mayer
- Flossbach von Storch Research Institute
MÜNCHEN – „Unternehmen, die schlecht geführt sind, unsozial handeln oder die Umwelt schädigen, sind unbestritten kein geeignetes Anlageobjekt“, betont Prof. Dr. Thomas Mayer vom Flossbach von Storch Research Institute. Um dies herauszufinden, brauche es jedoch keiner komplizierten Regularien. „Sinnvoller wäre Investieren mit gesundem Menschenverstand!“
„Eine Gruppe von privaten und öffentlichen Finanzorganisationen veröffentlichte im Jahr 2004 einen Bericht mit dem Titel „Who Cares Wins“, den sie auf Einladung des UN-Generalsekretärs Kofi Annan erstellt hatte. Ziel des Reports war es, Leitlinien und Empfehlungen zu entwickeln, wie man Umwelt-, Sozial- und Corporate-Governance-Aspekte besser in der Vermögensverwaltung und im Finanzresearch berücksichtigen könnte. In dem Bericht heißt es: „Eine bessere Einbeziehung von Umwelt-, sozialen und Unternehmungsführungsfaktoren in Investmententscheidungen wird zu stabileren und vorhersagbareren Märkten beitragen, was im Interesse aller Marktteilnehmer ist.“
Kein mit gesundem Menschenverstand begabter Finanzanalyst oder Unternehmenslenker hätte gegen die These Einwände vorbringen können, dass eine Unternehmung, die schlecht geführt ist, sich unsozial gebärdet und systematisch die Umwelt schädigt, langfristig kein attraktives Investment darstellt und damit keine dauerhafte Daseinsberechtigung am Markt genießen sollte. So gesehen erschien der Aufruf, „ESG-Kriterien“ zu berücksichtigen, wie die Forderung, mit gesundem Menschenverstand anzulegen. Allerdings ist gesunder Menschenverstand allzu oft ein knappes Gut. Die „ESG-Kriterien“ des Annan-Berichts wurden auf Teilaspekte verengt, die ein mechanisches Ratingsystem und staatliche Bürokratiemonster hervorbrachten.
Widersprüche bei ESG-Ratings
Ratingagenturen haben verschiedene „ESG-Ratings“ entwickelt, die die Umweltfreundlichkeit, Sozialverträglichkeit und ordentliche Betriebsführung nach bürokratisch vorgegebenen Kriterien messen sollen. Damit gehen die Agenturen aber weit über das hinaus, was quantitativ erfasst werden kann. Ratings entstanden ursprünglich, um die Ausfallwahrscheinlichkeit von Krediten zu messen. Obwohl auch dabei qualitative Faktoren eine Rolle spielen, kann man anhand von Kennzahlen aus der Gewinn-und-Verlustrechnung sowie der Bilanzanalyse eine quantitative Aussage wagen. Dagegen ist das Konzept der Nachhaltigkeit sehr komplex und beinhaltet Zielkonflikte. Weder kann es mit den 17 Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen widerspruchsfrei definiert noch auf die drei Faktoren „E“, „S“ und „G“ heruntergebrochen werden.
Eine widerspruchsfreie Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele oder die Überführung der ESG-Kriterien in eine Maßzahl fürs „Rating“ ist unmöglich. Subjektive und selektive Einschätzungen dominieren dabei. Folglich ist es nicht verwunderlich, dass die von den Agenturen erstellten ESG-Ratings oft nicht miteinander konsistent sind.
Verengtes Anlageuniversum
Auf den Kapitalmärkten haben Fondsanbieter ihren Kunden höhere Erträge aus „nachhaltigen“ Anlagen versprochen. Möglicherweise wurden sie dabei von den Einschätzungen des Annan-Reports beeinflusst. Tatsächlich haben ESG-Anlagen zeitweilig größere Preissteigerungen verzeichnet als der gesamte Aktienmarkt. Grund dafür waren aber politisch angeregte Geldzuflüsse und nicht höhere Gewinnaussichten dieser Unternehmungen, die höhere Renditen rechtfertigen würden.
Langfristig sagt der gesunde Menschenverstand, dass nach ESG-Kriterien ausgewählte Anlagen eine geringere Rendite abwerfen müssen als der gesamte Markt. Denn wenn das Anlageuniversum auf ESG-konforme Titel eingeschränkt wird und damit Anlagegelder auf die begrenzte Auswahl von Titeln konzentriert werden, sind Mindererträge zu erwarten.
Tatsächlich sind die Versprechungen der Anbieter nicht erfüllt worden. Insbesondere nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine müssen sie nun unbequeme Fragen beantworten: Warum hatten viele russische Unternehmen ähnliche ESG-Ratings wie vergleichbare europäische Unternehmen? Wie war es möglich, dass rund 300 ESG-Fonds in Russland engagiert waren und ihre Anleger mit Milliardenverlusten rechnen müssen?
Aswath Damodaran, Professor of Finance an der Stern School of Business, kommentiert mit einem gewissen Zynismus: „Ich glaube, dass ESG im Grunde ein Schwindel zum Wohlfühlen ist, der Berater reich macht, während er Unternehmen und Investoren, denen die Kriterien eine Hilfe sein sollen, nichts nutzt, und der Gesellschaft erst recht nicht.“ Denn wenn Anlagegelder auf den öffentlichen Kapitalmärkten oder Bankkredite von „braunen“ zu „grünen“ Unternehmen durch die Politik umgelenkt werden, eröffnen sich für Private-Equity-Anleger rentable Anlagemöglichkeiten in „braunen“ Unternehmen. Die Kapitalkosten dieser Unternehmen steigen nur wenig, und ihre Produktion geht wie gewohnt weiter.
Nachhaltigkeit auf dem Prüfstand
Auf der öffentlichen Seite richtete sich der Fokus auf den Klimaschutz, der maßgeblich durch Minderung des Ausstoßes von Kohlendioxid verfolgt wird. Die Europäische Union veröffentlichte im März 2020 eine „Taxonomie“, die in einem Katalog im Umfang von rund 600 Seiten die Klima- und Umweltbelastung der Wirtschaftssektoren aufschlüsselt. Auf dieser Grundlage sollen nicht nur Finanzdienstleister ihre Kunden über Anlagen informieren, sondern auch Banken ihre mit dem Klimawandel verbundenen Kreditrisiken bewerten. Auch die Europäische Zentralbank will ihre Geldpolitik grüner und damit nachhaltiger gestalten, obwohl sich daraus Risiken für die in ihrem Mandat verankerte Sicherung der Preisstabilität ergeben können.
Das umfangreiche Regularium der EU soll einerseits für mehr Informationen sorgen, die Investoren in ihre Anlageentscheidungen einbeziehen können. Andererseits hat es aber auch zur Folge, dass sich die Analyse von Anlagen auf von offizieller Seite propagierte Formeln reduziert. So werden Ressourcen nicht dort eingesetzt, wo sie am effizientesten sind und der Gesellschaft den höchsten Mehrwert beisteuern können, sondern dort, wo sie durch Regeln und Vorgaben hingelenkt werden. Es ist nicht schwer, daraus abzuleiten, dass sich nicht nur die Qualität von Anlageentscheidungen verringert, sondern auch die gesamtwirtschaftliche Kapitalproduktivität sinkt, was dann statt zu mehr zu weniger „Nachhaltigkeit“ führt.
Schlussendlich bedeutet „nachhaltig“ auf dem Feld von Wirtschaft und Finanzen „langfristig ertragreich“. Natürlich ist dies nur möglich, wenn die Lebensgrundlagen bewahrt werden und sozialverträglich in effizienten Strukturen gewirtschaftet wird. Dafür kann man aber weder Schablonen erstellen noch Zeitpläne für die Zielerreichung festlegen.
Wunsch und Wirklichkeit
Zur Bewahrung unserer Lebensgrundlagen gehört nicht nur der Schutz des Klimas, sondern auch der Schutz der freiheitlichen Gesellschaftsordnung. Dazu braucht man auch Waffen, die oft als nicht ESG-konform gewertet werden. Klimaschutz ist wiederum nicht nachhaltig, wenn die Schutzmaßnahmen soziale Konflikte schüren, zu ineffizienten Verwaltungsstrukturen führen und wenn durch Vorschriften Innovationen verhindert werden, wie es durch den „Green Deal“ und die Taxonomie der EU zu befürchten ist.
Natürlich sind auch gute Unternehmensführung und effiziente Verwaltung wichtig. Aber Umweltschutz darf nicht dazu führen, dass schlechte Unternehmensführung und ineffiziente Verwaltungen gefördert werden. Kommt es zu Zielkonflikten, müssen Abwägungen zwischen den Zielen gefunden werden. Ideologische Blickverengungen und militanter Eifer, der sich nur auf Teilaspekte der Nachhaltigkeit richtet, lassen dies aber nicht zu.
Nachhaltig handeln heißt, dem gesunden Menschenverstand zu folgen, der durch Pragmatismus und die Fähigkeit gekennzeichnet ist, Zielkonflikte durch Abwägungen zu lösen. Durch die Brille der Nachhaltigkeit betrachtet gibt es auch keinen Gegensatz zwischen „Shareholder“ und „Stakeholder“. Denn die über den Kosten liegenden Erträge, der Gewinn, sind die Voraussetzung für jedes sinnvolle wirtschaftliche Handeln zum Nutzen aller – der Gesellschaft und der Umwelt.“
Prof. Dr. Thomas Mayer, CFA, ist Gründungsdirektor und Leiter des Flossbach von Storch Research Institute. Zuvor war er für die Deutsche Bank, Goldman Sachs, Salomon Brothers, den Internationalen Währungsfonds und das Institut für Weltwirtschaft in Kiel tätig. Er ist CFA-Charterholder und seit 2015 Honorarprofessor der Universität Witten-Herdecke.
Hinweis: Dieser Beitrag ist zuerst erschienen in TiAM Eco 2022
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