Makro-Ausblick 2021: Das größte „Tapering“-Risiko aller Zeiten?

- Martin Roßner (li.)
- Kai Mösmang
- ThirdYear Capital
MÜNCHEN – „Das Auftreten der Pandemie Anfang 2020 stellte gleichzeitig ein Risiko für alle Volkswirtschaften und alle Wirtschaftssektoren dar“, sagen Martin Roßner und Kai Mösmang von ThirdYear Capital. Nun stelle sich aber die Frage, inwieweit „besondere Risiken für hoch bewertete Finanzmärkte“ aufgrund der wirtschaftlichen Erholung auftreten könnten.
Aktuelle Situation und historischer Kontext
Das Auftreten der Pandemie Anfang 2020 stellte gleichzeitig ein Risiko für alle Volkswirtschaften und alle Wirtschaftssektoren dar. Auch aktuell entstehen neue Risiken durch mutierte Versionen des Virus und neue Mobilitätseinschränkungen in China. Die politische Unterstützung, jene Risiken abzufedern, ist von historischem Ausmaß. Angenommen es gelingt eine zeitnahe Überwindung der Pandemie, stellt sich vorausschauend die Frage, ob trotz der wirtschaftlichen Erholung besondere Risiken für hoch bewertete Finanzmärkte auftreten könnten.
Historische Erholungsphasen nach einer überwundenen Pandemie weisen auf keine besonders großen Risiken für Finanzmärkte hin. Anders als ein Krieg ist eine Pandemie kein Angebots-, sondern ein Nachfrageschock. Es dauert jeweils Jahre, bis sich die Nachfrage vollständig erholt hat. Nur langsam nach oben driftende Zinsen erzeugen eine positive Umgebung für die meisten Anlageklassen, ähnlich zu dem „lower-for-longer“ in dem auf die Finanzkrise im Jahr 2008 folgenden Aufschwung. In Bezug auf die aktuelle politische Reaktion und technologische Möglichkeiten gibt es jedoch keinen vergleichbaren historischen Fall. Wenn die enorm große Bereitstellung von Liquidität trotz des aktuell noch schwachen wirtschaftlichen Zustands extrem positiv für Finanzmärkte war, wird die schlussendliche Rücknahme derselben („Tapering“) dann nicht zum großen Risiko?
Zentrale Rolle der Fed
Das Fehlen eines historisch vergleichbaren Szenarios erschwert die richtige Dosierung geldpolitischer Unterstützung. Die Powell-Fed hat nach eigener Aussage mit geldpolitischem „Risikomanagement“ bewusst auf die Krise „überreagiert“. Unter anderem stellte der hoch verschuldete Markt für gewerbliche Immobilien, welcher in der Vergangenheit häufig ein Beschleuniger oder Auslöser zyklischer Rezessionen war, ein zu großes Risiko dar. Die Kombination aus Strukturwandel hin zur digitalen Wirtschaft (Amazon-Effekt) und Pandemie (Mobilitätseinschränkungen/Home-Office) hätte diesen Sektor in eine Krise mit gesamtwirtschaftlichen Folgen gestürzt. Das deshalb erforderliche Ausmaß fiskalischer und geldpolitischer Unterstützung hat mittlerweile nicht nur zu kräftigen Erholungen an den Finanzmärkten, sondern auch in Teilen der Realwirtschaft geführt.
Vor allem einige nicht Covid-sensitive Sektoren wie Konsumgüter und Wohnimmobilien befanden sich schnell wieder auf einem höheren Niveau als vor der Pandemie. Auch die nach wie vor hohe Arbeitslosenquote in den USA könnte dazu verleiten, die wirtschaftliche Situation zu unterschätzen. Der Großteil der verloren gegangenen Arbeitsplätze befindet sich im weniger zyklischen Dienstleistungssektor, beispielsweise Restaurants und Freizeitaktivitäten. Diese könnten bei einer möglichen Überwindung der Pandemie zeitnah wieder eingestellt werden.
Im Rahmen des systematischen Analyseansatzes von ThirdYear Capital (TYC) befindet sich die USA aufgrund der starken Erholung einiger Sektoren bereits seit November 2020 wieder in der Phase „Mitte“ des Konjunkturzyklus (siehe Abbildung 1). Bei Wiedereröffnung von Covid-sensitiven Sektoren und der Entwicklung einer zyklischen Inflation könnte der Konjunkturzyklus weiter fortschreiten. Eine vorübergehende „finanzielle Straffung“ erfordert dann Anpassungen in der Asset-Allokation.
Abbildung 1: Zyklisches Bild der USA aus dem „Strategie Global“-Bericht im Januar 2021
Notwendige Neubewertung von Inflationsrisiken bei erfolgreicher Immunisierung
Genau andersherum als am Anfang der Pandemie würden bei einer zeitnahen Überwindung alle Sektoren in allen Ländern gleichzeitig stark wachsen wollen. Hohe Ersparnisse würden den wirtschaftlich dominanten und weniger zyklischen Dienstleistungssektor anheizen. Aufgrund des Nachholbedarfs wäre die Nachfrage kaum preissensitiv und ermöglicht Preissprünge. Eine Unterstützung für das Preisniveau bietet auch der schwache US-Dollar, insbesondere gegenüber asiatischen Währungen. Die Aufwertung des Chinesischen Yuan ist durch relative zyklische Stärke und enorme Handelsüberschüsse fundamental gerechtfertigt und bedeutet aktuell einen positiven Spillover für globales Wachstum und Inflation. Der von TYC entwickelte Echtzeit-Inflationsindikator zeigt eine steigende Tendenz, kühlte sich aber mit steigenden Covid-19 Fallzahlen seit Oktober 2020 wieder etwas ab (siehe Abbildung 2). Bei Fortschritten in der Pandemiebekämpfung könnte sich der Anstieg nach oben fortsetzen.
Inflationsrisiken sind trotz der kürzlichen Modifizierung des Inflationsziels der Fed besonders relevant, weil steigende langfristige Zinsen ein bekannter Risikofaktor für den hoch verschuldeten Unternehmenssektor sind. Zu diesen zählt unter anderem auch der nachhaltig geschwächte Markt gewerblicher Immobilien. Deswegen sollten Marktteilnehmer bei ansteigender Inflation auf einen überraschend frühen Kurswechsel der Fed vorbereitet sein.
Abbildung 2: Inflationsrate der USA und TYC Echtzeit-Inflationsindikator
Marktrisiken und -chancen
Aufgrund wiederkehrender Rückschläge in der Pandemiebekämpfung stellt sich die ultra-lockere Geldpolitik bislang immer noch als angemessen heraus. Neue Pandemie-Wellen, Mutationen und die unklare Wirksamkeit des Impfstoffes gegenüber Mutationen bremsen derzeit die wirtschaftliche Erholung und verhindern ein Überhitzungsszenario. Vorrausschauend ist das Überhitzungsszenario in Abhängigkeit von Impfstoff und Wiedereröffnung der Dienstleistungssektoren jedoch relevant, da alle Gründe bis auf kurzfristige Kapitalerträge für eine rasche Überwindung der Pandemie sprechen. Das größte „Tapering“-Risiko aller Zeiten resultiert dann nicht nur aus der zuvor historisch starken Bilanzausweitung, sondern auch aus historisch hohen Marktbewertungen. Der „Fed-Put“ würde bei einer erwünschten Abkühlung der Wirtschaft weit unter den aktuellen Bewertungen stehen.
Ein aktiver und flexibler Ansatz ist nötig, um auf neue Pandemie- oder auch Inflationsrisiken mit defensiven Anpassungen zu reagieren. Die Echtzeitmessung („Nowcasts“) von Wirtschaftsdaten wie Wachstum und Inflation hilft dabei, Risiken nach oben und unten frühzeitig zu erkennen. Bei einem nachhaltigen Aufschwung hingegen könnte sich die bereits angefangene Rotation auf verschiedenen Ebenen wie Ländern, Anlageklassen, Sektoren und Faktoren fortsetzen. Während aktive Investmentansätze davon profitieren können, waren die Opportunitätskosten für Passivität lange nicht so hoch.
Über die Autoren
Martin Roßner ist seit März 2015 Gründer und Geschäftsführer von ThirdYear Capital. Zuvor sammelte er über 8 Jahre Erfahrung bei der Man Group in verschiedenen Bereichen wie Global Macro-Research, Risikomanagement und Asset Allokation. Er ist Träger eines Master-Abschlusses in Quantitative Economics der Universität St. Gallen und hat zahlreiche Weiterbildungsexamen wie CFA, CAIA und FRM bestanden.
Kai Mösmang ist seit Februar 2018 bei ThirdYear Capital zuständig für Research, Modellpflege und Operatives. Vorherige Stationen hatte er unter anderem bei der Deutschen Bundesbank und der UBS AG. Er hat einen Master-Abschluss in International and Monetary Economics der Universitäten in Basel, Bern und LMU München.
ThirdYear Capital ist Anbieter „quantamentaler“ Global-Macro-Strategie und Fondsberater des ART Global Macro UCITS Fonds. „Quantamental“ wird dabei als Kombination aus quantitativ und fundamental verstanden. Mit Hilfe von Daten und Technologien wird ein tiefes Verständnis der Volkswirtschaft auf liquide Anlageklassen angewendet. Im spezifischen Ansatz von ThirdYear Capital nutzt die systematische Strategie Nowcasting (kurzfristige wirtschaftliche Prognosen), um historische Ursache-Wirkungs-Ketten in Echtzeit zu erkennen und ihre Auswirkungen auf die Finanzmärkte zu antizipieren.