„In unsicheren Zeiten laufen wir zu Höchstform auf“

- Richard S. Pzena
- Pzena Investment Management
FRANKFURT – Richard S. Pzena ist Deep-Value-Investor und findet zurzeit interessante Unternehmen mit attraktiven Bewertungen, was gute Kurschancen bedeutet. Der Gründer der amerikanischen Value-Boutique Pzena Investment Management verfolgt einen umfassenden Research-Ansatz, mit dem 20% der preiswertesten Aktien weltweit für die Fondsportfolios analysiert und ausgewählt werden.
? Richard, wenn wir all die Probleme nehmen, die wir an den Märkten sehen, könnte man den Eindruck haben, dass Aktien völlig aus der Mode gekommen sind. Was sagen Sie dazu?
Richard Pzena: Die Märkte spielen in der Tat verrückt und die Aktienkurse sind sehr volatil. Allerdings ist das ein Umfeld, in dem wir zu Höchstform auflaufen. Dann gibt es zwar einerseits viel Arbeit, mit den angemessenen Bewertungen der Unternehmen, andererseits winken aber auch attraktive Kurschancen. Kurz gesagt bedeutet: je mehr Stress an den Märkten, desto bessere Bewertungen für uns. Das ist schon immer so gewesen, seit Menschengedenken.
? Was meinen Sie damit?
Pzena: Ich denke, das ist eine kleine Einführung wert. Es gibt eigentlich zwei Arten von Investitionen. Die eine ist, zu raten, was passieren wird. Ich verwende gezielt das Wort erraten, was im makroökonomischen Umfeld passieren wird – um dann das Portfolio entsprechend zu positionieren. Die meisten Leute denken, dass man das tun sollte. Das ist aber nicht unsere Vorgehensweise. Ich halte das sogar für töricht, denn wenn man sich anschaut, wie schlecht die professionellen Ökonomen bei diesen Schätzungen sind, wie sollen dann normale Anleger oder selbst erfahrene Anleger versuchen, sich Gedanken darüber zu machen, ob wir in eine Rezession geraten. Werden wir eine Inflation haben? Geht die Welt unter? Um dann zu sagen: Okay, ich werde mein Portfolio so zusammenstellen, dass ich in diesem Szenario Geld verdiene. Wie hoch sind aber die Chancen, dass man mit diesem Szenario richtig liegt? Das ist Zufall!
? Und die andere Möglichkeit?
Pzena: Die andere Möglichkeit besteht darin, zu akzeptieren, dass Unternehmen von Menschen geleitet werden und dass Menschen Anpassungen vornehmen, die auf dem basieren, was um sie herum geschieht. Sie stecken nicht einfach den Kopf in den Sand und tun nichts. Wenn man sich die Geschichte ansieht, dann waren Makrovariablen für die langfristige Rentabilität völlig irrelevant. Sie sind relevant für die kurzfristige Rentabilität. Aber längerfristig ist es für die Rentabilität von Unternehmen irrelevant, ob die Wirtschaft stark oder schwach ist.
? Das müssen Sie erklären?
Pzena: Ich meine, ist sie besser bei hoher oder bei niedriger Inflation – oder bei hohen Steuern oder bei niedrigen Steuern? Dies macht aus unserer Sicht keinen Unterschied. Ich denke, es gilt für die ganze Welt, dass man, sobald man sich anpasst, den gleichen Betrag verdient, den man verdient hätte, wenn die Bedingungen anders gewesen wären. Nur sind einige dieser Dinge sehr schwer zu glauben.
? Haben Sie ein Beispiel?
Pzena: Nehmen wir etwa den Energiesektor in Europa. Sie sind ein Chemieproduzent, der für die Herstellung seines Produkts auf Erdgas angewiesen ist, und plötzlich sind die Kosten für Ihren Rohstoff fünfmal so hoch wie vorher. Sie sind dann auf dem Weltmarkt nicht mehr wettbewerbsfähig und müssen Ihre Anlage teilweise stilllegen. Ist das gut oder schlecht für das Unternehmen?
? Eher schlecht!
Pzena: Ich denke, das kommt darauf an, wo sie sonst noch produzieren. Wenn das Unternehmen also ein deutscher Chemieproduzent ist und 20 % seiner Anlagen in Europa und 80 % außerhalb Europas liegen, ist das gut oder schlecht? Nun, sie schließen 20 %. Was glauben sie, wie sich das auf den Preis ihres Produkts auswirken wird, wenn 20 % der weltweiten Kapazitäten stillgelegt werden? Und übrigens, was tun sie als Unternehmensleitung? Sie fragen sich: Wohin kann ich die Produktion verlagern, um zu versuchen, woanders mehr zu produzieren und von einem höheren Preis zu profitieren? Das wird unweigerlich passieren. Was kann ich tun, um meine Kosten zu senken? Auf dem Markt, auf dem die Probleme bestehen, werden sie sie nicht von heute auf morgen beheben können. Sie werden also eine gewisse Ertragsschwäche haben. Jeder bekommt das mit. Und so geht der Aktienkurs in den Keller, obwohl es in fünf Jahren keine Rolle mehr spielen wird, wie hoch der Gaspreis in Europa ist. In fünf Jahren werden sie Ihr gesamtes Geschäft komplett umgestellt haben, um sich an die neuen Gegebenheiten anzupassen. Also kann ich das Unternehmen heute günstig kaufen, mit der Aussicht, dass die Geschäfte in Zukunft deutlich besser laufen. Aktienkurse spiegeln immer wider, wie schlecht die aktuellen Bedingungen sind, aber sie würdigen nicht den Einfallsreichtum der Menschen, die die Unternehmen leiten.
? Die Frage ist, wie Anleger Unternehmen mit solchen Führungskräften finden können, die in der Lage sind, Dinge auf den Weg zu bringen, um auch in fünf Jahren noch erfolgreich zu wirtschaften?
Pzena: Das stimmt. Und es ist zudem wichtig, Unternehmen zu finden, die die finanzielle Stärke haben, einen Abschwung zu überstehen. Wenn ein Unternehmen hoch verschuldet ist, dann ist es nur ein Glücksspiel. Als COVID zuschlug, haben wir jedes Unternehmen auf der Welt dahingehend analysiert, was passiert, wenn der Umsatz um 50 % sinkt, was in vielen Branchen der Fall war. Unsere größte Beteiligung im gesamten Unternehmen ist General Electric, ein Hersteller von Düsentriebwerken. In Folge der Pandemie sind die Einnahmen aus dem Triebwerksgeschäft um etwa 70 % zurückgegangen und GE verlor sieben Milliarden Dollar an Barmitteln. Aber wir haben uns gesagt, GE hat 50 Milliarden Dollar in bar und also sieben Jahre Zeit, das Problem zu lösen. Die haben sie aber gar nicht gebraucht – es wurde in einem Jahr behoben. Dann war der Cashflow wieder ausgeglichen, ohne dass sich der Luftverkehr erholt hätte.
? Dazu gehört von Seiten der Anleger aber auch etwas Glück.
Pzena: Ich würde eher sagen, man darf kein Pech haben. Ein Unternehmen sollte nicht einen Monat vor Ausbruch einer Krise eine riesige Übernahme getätigt und die Bilanz mit Schulden belastet haben, ohne Notfallplanung. Wenn wir wiederum mit einem Unternehmen sprechen und es klingt, als ob es den Kopf in den Sand gesteckt hat, dann würden wir nicht einsteigen. Aber meiner Erfahrung nach machen 90 % der Unternehmen das Gegenteil – sie planen und denken und reagieren.
? Und verbreiten Optimismus?
Pzena: Ja, aber die Wall Street konzentriert sich zu sehr auf den nächsten Gewinnbericht, worüber wir recht froh sind, weil wir auf diese Weise Unternehmen zu absolut günstigen Bewertungen kaufen können. Was uns interessiert, ist, ob das Unternehmen finanziell stark ist. Und ob es in der Lage ist, selbst in einem Abwärtsszenario nicht allzu viel Geld zu verlieren.
? Hierfür müssen Sie aber sehr sicher sein, dass Ihre Berechnungen stimmen.
Pzena: Ganz genau. Eine der Fehleinschätzungen beim Value-Investing ist doch, dass man meint, es würden schwache Unternehmen gekauft. Das ist aber nicht der Fall. Wir kaufen vielleicht Unternehmen, die nicht sehr schnell wachsen. Das macht sie aber nicht zu schlechten Unternehmen. Ein gutes Unternehmen ist eines, das einen dominanten Marktanteil hat oder seit langem hohe Gewinnspannen erzielt.
? In Deutschland wird Deep Value oft mit Penny Stocks gleichgesetzt. Trifft Sie das?
Pzena: Nein, das ist ein sehr großer Unterschied. In unseren Portfolios sind überwiegend führende globale Unternehmen, sei es in der Industrie, im Konsumgüterbereich oder im Finanzsektor, die sich in einer Art Krise befinden, die wir als vorübergehend einschätzen. Unternehmen mit milliardenschweren Umsätzen, die ein Problem haben, das andere Anleger nervös macht und somit den Aktienkurs drückt. Wir kaufen Unternehmen, die operativ in Schwierigkeiten sind, aber nicht in finanziellen Schwierigkeiten.
? Was passiert, wenn Sie feststellen, dass Ihre Berechnungen nicht stimmen?
Pzena: Dann verlieren wir Geld. Die meisten Menschen haben Angst, Geld zu verlieren. Wir sind uns bewusst, dass wir nicht immer richtig liegen können. Aber wenn wir in 60 % der Fälle richtig liegen, weil wir intensiv recherchiert haben, und in 40 nicht, dann haben wir eine tolle Bilanz. Nehmen wir einfach mal Volkswagen, einen Autohersteller, der einen großen Übergang von kohlenstoffbasierten Kraftstoffen zu Elektrofahrzeugen durchmacht. Und weil jeder nervös ist, wegen dieser Umstellung, und Tesla als den großen Gewinner sieht, haben viele Anleger Angst davor. Und wir konnten Volkswagen für das Fünffache seines aktuellen Cashflows kaufen, was eine Rendite von 20 % bedeutet. Da ist es schwer, viel Geld zu verlieren. Im Gegenteil hat VW mit Porsche eine Tochtergesellschaft verkauft – für mehr als den Wert des gesamten Unternehmens.
? Wie viel Zeit geben Sie Ihren Investments, um sich zu erholen?
Pzena: Unsere durchschnittliche Haltedauer beträgt etwa dreieinhalb Jahre. Wenn man Aktien so billig kauft, wie wir sie kaufen, sind die Chancen, dass sie sich in zwölf Monaten erholen, sehr gering.
? Welche Rolle spielt das Timing für Sie?
Pzena: Was Timing betrifft, versuchen wir allenfalls, einen Kauf hinauszuzögern, sofern sich das Geschäft verschlechtert. Das heißt aber nicht, dass das immer gelingt, aber in einer idealen Welt verschlechtert sich ein Geschäft, der Aktienkurs sinkt. Wenn man andererseits zu lange zögert und wartet, bis die Trendwende da ist, verpasst man die meisten Gelegenheiten.
? Abschließend gefragt, was denken Sie, an welchem Punkt des Value-Zyklus wir uns zurzeit befinden und wie lange dieser Zyklus noch andauern könnte?
Pzena: Ein Value-Zyklus dauert unserer Erfahrung nach im Durchschnitt etwa sechs Jahre. Wir befinden uns seit fast zwei Jahren in dieser Phase, aber im Moment liegt sie auf Eis. Begonnen hat der Zyklus ziemlich genau zu Beginn der Covid-Pandemie. Aber als Russland in die Ukraine einmarschierte, wurde der Zyklus unterbrochen. Seitdem ist alles gefallen und ich denke, dass wir nun in eine Rezessionsphase eintreten werden. In eine ganz normale, gewöhnliche Rezession, die die Exzesse aus dem Markt nehmen und die Dinge wieder auf den richtigen Weg bringen wird.
? Haben wir das richtig verstanden, dass Sie sagen, dass Value-Investments ziemlich gut sind, wenn die Rezession beginnt, und sich besser entwickeln als der breite Markt?
Pzena: Genau das bedeutet das, relativ betrachtet. Das Problem ist, dass wir von einem sehr hohen Bewertungsniveau herkommen und die teuren Aktien den gesamten Markt nach unten gezogen haben. Ich würde also nicht sagen, dass ich sehr zuversichtlich bin, dass die breiten Märkte sich erholen werden, aber ich glaube, dass wir Unternehmen finden, die uns langfristig zweistellige Renditen bringen werden. Wobei ich dies als ziemlich attraktiv empfinde. Das ist vielleicht nicht das, was sich Growth-Investoren langfristig erhoffen. Aber das ist genau das, was unsere Kunden von uns erwarten. Sie wissen, dass sie auch Phasen durchleben müssen, in denen es nicht funktioniert. Denn auch hier macht Timing wenig Sinn. Aber unter dem Strich denke ich, dass es für langfristig orientierte Investoren egal ist, zu welchem Zeitpunkt sie bei uns einsteigen.
Richard S. Pzena ist Gründer und Vorstandsmitglied der amerikanischen Value-Boutique Pzena Investment Management. Der Investmentansatz des im Jahr 1995 in New York gegründeten Deep-Value-Investors basiert auf einem umfassenden Research-Modell, mit dem 20% der billigsten Aktien weltweit für die Portfolios analysiert werden. Wie es in dem rund 30-köpfigen Team vorausgesetzt wird, verfügt Richard Pzena selbst neben seinem professionellen Finanzhintergrund auch über langjährige Analystenerfahrung, in seinem Fall mit dem Schwerpunkt in der Ölindustrie.
Über Pzena
Pzena Investment Management, LLC („Pzena“) ist ein unabhängiger, registrierter Anlageberater, der 1996 mit der Verwaltung von Vermögenswerten begann. Pzena verfolgt einen klassischen Value-Anlageansatz und verwaltet US-amerikanische, nicht-amerikanische und globale Portfolios mit dem Ziel der langfristigen Alpha-Generierung. Zum 30. Juni 2022 verwaltete Pzena ein Vermögen von rund 45 Milliarden US-Dollar, das weltweit in verschiedene Marktsegmente investiert war. Das Unternehmen beschäftigt 134 Mitarbeiter, die hauptsächlich in New York City ansässig sind. Pzena unterhält außerdem Geschäftsentwicklungs-/Kundendienstbüros in Melbourne, Australien; London, England; und Dublin, Irland. In Deutschland ist Pzena bereits seit 2014 im Fonds- und Mandatsgeschäft aktiv.