Herausforderungen der Energie-Infrastruktur

- Peter Dreide
- TBF Global Asset Management
FRANKFURT – Die Ereignisse in Russland und der Ukraine zeigen auf drastische Weise, welche Relevanz die sichere Versorgung mit Energie für Strom und Wärme hat. Investitionen in Energieinfrastruktur sind daher von essenzieller Bedeutung, betont Peter Dreide, CIO und Founder von TBF Global Asset Management.
„Der Energiesektor wird primär als Möglichkeit gesehen, die Erzeugung von „grünem“ Strom voranzutreiben, um CO2 einzusparen. Versorgungssicherheit und Netzstabilität waren indes ein Nischenthema. Doch leider zeigen die jüngsten Ereignisse, welche Relevanz die Versorgung mit Strom und Wärme hat. Investitionen in Energieinfrastruktur sind daher von essenzieller Bedeutung.
Thinktanks schätzen, dass der globale Energiebedarf sich von aktuell jährlich etwa 7600 Gigawatt auf 21 000 Gigawatt bis zum Jahr 2050 fast verdreifachen wird. Der drastische Bedarfsanstieg ist zum einen auf die steigende Population zurückzuführen, aber auch auf den Energiebedarf der Entwicklungsländer. China wird im nächsten Jahrzehnt einen Großteil der Nachfrage nach Elektrizität ausmachen. Dies ist vor allem auf den technischen Fortschritt und die weltweite Förderung der E-Mobilität zurückzuführen.
Weiter zeigen die Bloomberg-NEF-Prognosen, dass der Erzeugungsmix sich radikal ändern wird von aktuell elf Prozent für Solar, acht Prozent Wind, 15 Prozent Wasser und 23 Prozent Gas auf 38 Prozent Solar, 20 Prozent Wind, sieben Prozent Wasser und 15 Prozent Gas. Bei dieser Prognose fällt auf, dass fossile Brennstoffe nicht aus dem Energiemix verschwinden werden. Im Gegenteil: Flüssigerdgas (LNG = Liquified Natural Gas) wird auch weiterhin eine tragende Rolle als Brückentechnologie spielen, bis erneuerbare Energien verlässlich und unabhängig von äußeren Einflüssen genügend Strom produzieren können.
Anlagen bauen reicht nicht
Die Marktlage und das Zielbild sind allerdings nichts Neues und Investoren gut bekannt. Bis dato hat man vor allem das „Front End“ vorangetrieben. Doch allein der Bau von Erneuerbare-Energien-Anlagen reicht nicht aus, um den aktuellen Energiebedarf Europas zu decken – geschweige denn den steigenden Bedarf. Die Energiegewinnung muss effizienter und berechenbarer werden, beispielsweise durch das Schaffen von Speicherkapazitäten und den Ausbau intelligenter Stromnetze. Gerade jetzt merken wir, wie wichtig eine funktionierende und diversifizierte Energieinfrastruktur als „Back End“ ist. In Deutschland sind wir davon leider weit entfernt.
Um die aktuelle Grundversorgung sicherzustellen, sind die ersten Pläne der Regierung, in Energieinfrastruktur zu investieren, beispielsweise in Importterminals zum Entladen von Flüssigerdgas. Die Verflüssigung von Gas bedeutet eine Volumenreduktion um den Faktor 600 und ermöglicht den wirtschaftlichen Transport großer Mengen. Das Erdgas kann so weltweit über den Meerweg transportiert werden, unabhängig von starren Pipelines und Lieferketten. Der Bau von LNG-Importterminals ist jedoch ein massives Bauvorhaben. Neben den Entladestationen zur Regasifizierung muss das LNG in einem Gasturbinenkraftwerk transformiert werden, bis es für den Endverbraucher nutzbar ist.
Zusätzlich sollen einzelstaatliche Stromnetze zu Verbundnetzen weiter ausgebaut werden. Laut Untersuchungen des Magazins „The Economist“ wurden in den entwickelten Industrieländern im Jahr 2018 gerade mal 4,3 Prozent des produzierten Stroms über Staatsgrenzen hinweg gehandelt.
Norwegische Wasserkraft, Offshore-Nordsee-Windstrom oder Photovoltaikstrom von südlich der Alpen in einem Netz verbunden reduzieren den Bedarf an grundlastfähigem Strom. Dies ist aber nur möglich, wenn massiv in den Ausbau eines intelligenten Stromnetzes (Smart Grid) investiert wird.
Im Gegensatz zu den existierenden analogen Stromnetzen sind Smart Grids digital und können so in beide Richtungen entlang des Netzes kommunizieren. Dies ermöglicht die flexible Steuerung der Energie nach der Nachfrage.
Ein weiterer Baustein einer diversifizierten Energieinfrastruktur ist der Ausbau von alternativen Speicherformen (Storage), um die Abhängigkeit von regionalen Gegebenheiten weiterzuentwickeln. Pumpspeicherwasserkraftwerke sind zwar attraktiv, aber um flächendeckend die gewonnene Energie aus den erneuerbaren Quellen Wasserkraft, Photovoltaik und Windenergie bestmöglich einzusetzen, müssen die Batteriesysteme ausgebaut und weiterentwickelt werden.
Politischer Rückenwind
Alle genannten Energieinfrastrukturlösungen sind massive Bauvorhaben. In der Vergangenheit wurden diese vor allem durch diverse bürokratische Hürden und langfristige Genehmigungsverfahren ausgebremst. Nachdem die Energieversorgung mit Strom und Wärme trauriger Mittelpunkt gesellschaftlicher Auseinandersetzungen in Europa wurde, ist davon auszugehen, dass die Anträge im Eilverfahren behandelt werden. Das ist keine Lösung im Hier und Jetzt, aber in den kommenden zwei bis fünf Jahren.
Um den Rückenwind der Energieinfrastruktur erfolgreich im Portfolio umzusetzen, bedarf es einer allumfassenden Unternehmensanalyse. Denn gerade jetzt sind versteckte Risiken in den Einzelunternehmen vorhanden, die bis zur Abschreibung auf null führen können. Konzerne können beispielsweise Beteiligungen an Unternehmen halten, die moralisch nicht mehr vertretbar sind, und diese dann umgehend abstoßen.
Umsetzung im Portfolio
Neben der Beteiligungsexpertise ist ein tiefes Verständnis des Zusammenhangs von Rohstofflieferketten gefragt. Die Erzeugung oder der Bau der oben genannten Energieinfrastrukturbeispiele erfordert meist die Förderung von seltenen Erden für den Einsatz in Batteriespeichern, Solarzellen, Chips, Prozessoren und so weiter. Ein Beispiel dafür ist Neongas, das für die Halbleiterindustrie wichtig ist.
Amerikanische Unternehmen weisen nach unserer Erfahrung oft eine geringe Abhängigkeit von europäischen Rohstoffquellen auf. Um das genau zu verstehen, muss man allerdings vor Ort sein und mit dem Management der Unternehmen sprechen.
Unsere Eindrücke in diversen Fieldtrips fließen in die hauseigene Datenbank, die seit mehr als 20 Jahren alle relevanten Kennzahlen speichert, ein. Kurzum: Ja, Energieinfrastruktur bietet attraktive Investmentmöglichkeiten, aber man sollte in dem Sektor auf Spezialisten mit einem entsprechenden Track Record vertrauen, denn die Fettnäpfchen können groß und schmerzhaft sein."
Peter Dreide
CIO und Founder, TBF Global Asset Management: Nach seinen Anfängen in der Anlageberatung der Deutschen Bank zog es den Autor 1992 nach Kanada, um für McLean McCarthy und später für Barclays de Zoete Wedd, Deutsche Morgan Grenfell und erneut Deutsche Bank Securities tätig zu werden. Im Jahr 2000 gründete er in Deutschland die TBF Global Asset Management GmbH, für die er bis heute als CIO fungiert.
Hinweis: Dieser Beitrag ist zuerst erschienen in TiAM – Trends im Asset Management 01/2022
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