Große Opportunitäten bei kleinen Aktien

  • Peter Kraus
  • Berenberg

FRANKFURT – Nebenwerte sind im vergangenen Jahr unter die Räder gekommen. Inzwischen stehen die Chancen aber deutlich besser, wie ein Experten-Team von Berenberg beschreibt. Es zeigt auf, dass Small und Micro Caps der Konjunktur regelmäßig vorauslaufen, und betont, dass man für einen Einstieg nicht zu lange warten sollte – „denn geht es der Wirtschaft wieder gut, hat der Markt die besseren Aussichten längst eingepreist“.

Ab hier folgt der Marktkommentar von Peter Kraus, Head of Small Cap Equities bei Berenberg:
„Stark steigende Inflationsraten, die restriktive Zentralbankpolitik, Rezessionsängste, der Ukraine-Krieg und eine mögliche Energiekrise haben im Kalenderjahr 2022 zu (teils deutlichen) Verlusten bei der Mehrheit der Anlageklassen geführt. Innerhalb des Aktienmarktes traf es qualitativ hochwertige Wachstumsunternehmen sowie Small und Micro Caps noch einmal überdurchschnittlich.

Nebenwerte erlebten relativ zum Gesamtmarkt und insbesondere zu großen Aktiengesellschaften Verluste in historischem Ausmaß – die stärksten seit Anfang des Jahrtausends. So haben sich beispielsweise europäische Small Caps um mehr als 20 Prozentpunkte (Zeitraum: 31.12.2021 – 30.12.2022) schlechter als europäische Large Caps entwickelt, sogar mehr als während der Finanzkrise 2008. Aber auch globale Nebenwerte gerieten deutlich stärker unter Druck als ihre Large Cap-Pendants, hier setzte diese Dynamik sogar schon früher ein als in Europa.

Gründe für die langfristige Outperformance von Nebenwerten

Die Gründe für die langfristige Outperformance von Nebenwerten, die unter anderem von den Nobelpreisträgern Eugene Fama und Kenneth French schon 1993 als „Size Faktor“ nachgewiesen wurde, sind vielfältig. Viele von diesen haben wir bereits in anderen Publikationen aufgezeigt. Für Nebenwerte spricht zudem auch das überdurchschnittlich hohe Wachstums- und Margenprofil, höhere Innovationskraft und stärkere unternehmerische Dynamik, auch dank größerer durchschnittlicher Beteiligungen des Managements am Unternehmen. Auch die geringere Anfälligkeit hinsichtlich regulatorischen Drucks, eine stärkere lokale Präsenz in Zeiten von Near-Shoring und eine höhere Übernahmewahrscheinlichkeit durch andere Unternehmen wirken unterstützend.

Die langfristige Outperformance verlief in der Vergangenheit jedoch nicht linear, sondern wurde in verschiedenen Phasen – insbesondere in allgemeinen Marktverwerfungen – vorübergehend gebremst, was unter anderem an der tendenziell höheren Zyklizität auf Index-Ebene von Nebenwerten liegt. Größere Rückschläge waren jedoch historisch stets exzellente Kaufchancen.

Wenn man, wie wir, konsequent auf die qualitativ besten Innovationsführer mit herausragender Profitabilität und Finanzkraft sowie zweistelligen Gewinnwachstumsraten setzt, sollte man zudem mittelfristig in der Lage sein, nochmals eine attraktive Überrendite gegenüber den breiten Small Cap-Indizes zu erzielen.

Nebenwerte als Frühindikator für die Konjunktur

Nebenwerte sind traditionell ein guter Frühindikator für die Konjunktur, fangen entsprechend oft schon vor den ersten Anzeichen wirtschaftlicher Probleme an zu fallen und drehen historisch regelmäßig, bevor die Konjunkturdaten ihren Tiefpunkt erreicht haben.
Entsprechend entwickelten sich Nebenwerte nach starken, durch Konjunktursorgen ausgelöste Marktschwächen häufig deutlich besser als ihre Large Cap-Pendants.
   
Neben der langfristig besseren absoluten Performance von Nebenwerten profitieren Anleger auch von Diversifikationseffekten durch die Beimischung von Nebenwerten in einem Portfolio. Bei einem fixen jährlichen Renditeziel von beispielsweise 5% konnte in der Vergangenheit durch die Beimischung von europäischen Small Caps und globalen Micro Caps zu einem bestehenden MSCI World und Aggregate Global Bond Portfolio die jährliche Volatilität von ca. 6,3% auf ca. 5,5% gesenkt werden, also um fast 15%. Auch die umgekehrte Betrachtung ist möglich: Bei einem jährlichen Volatilitätsziel von 7% konnte durch die Beimischung von Nebenwerten die jährliche Rendite um 0,4 Prozentpunkte pro Jahr erhöht werden: von 6,2% auf 6,6% p.a. – nach 30 Jahren macht dies einen Performanceunterschied von 73 Prozentpunkten aus dank Zinseszinseffekt.

Was bringt das Anlagejahr 2023?

Das neue Jahr dürfte erst einmal ein besseres Jahr als das vorherige werden – wenn auch kein unbedingt einfaches. Doch wenn man von den aktuell schwelenden Krisen absieht, zeichnet sich derzeit grundsätzlich ein ganz passables Bild für die kommenden Monate ab: Der Inflationsbuckel scheint überwunden und es dürfte zu einem Ende der Zinsanhebungen kommen – in den USA könnte es im zweiten Halbjahr 2023 sogar zu Zinssenkungen kommen. Unsere Volkswirte gehen auch von einer Erholung der Wirtschaft in Europa aus und vielleicht gibt es ja auch positive Überraschungen aus der Ukraine und China. Außerdem sind die Stimmung und die Erwartungshaltung bei Investoren und Banken zu Jahresbeginn so verhalten wie lange nicht mehr.

Dies sollte dazu führen, dass am Aktienmarkt Inflation und Zinsen in den Hintergrund treten und sich der Blick wieder auf die Fundamentaldaten der einzelnen Unternehmen richten wird. Allerdings rechnen wir nicht mit einer Erholung auf breiter Front, weswegen das richtige Stock-Picking entscheidend sein wird: Welche Unternehmen haben die Gewinnrevisionen bereits hinter sich? Wer hat Preissetzungsmacht? Wer kann strukturelles Wachstum aufweisen? Wo sind die Bewertungen nach dem starken Abverkauf attraktiv?

Die Chancen des Small-Cap-Segments

Einen besonderen Schub sollte dabei das Small-Cap-Segment erfahren. In der Welt der Nebenwerte lassen sich viele qualitativ hochwertige Wachstumsunternehmen finden, viele davon Weltmarktführer in ihrem Segment. Spannend sind dabei vor allem Bereiche, die von Megatrends wie der Digitalisierung im Gesundheitswesen oder dem Technologiebereich, dem Fortschritt in der Medizintechnik oder den steigenden Anforderungen an die Energieeffizienz profitieren. Auch Regulierungsfragen spielen eine Rolle, wie zum Beispiel die Treibhausgas-Regulierung oder die EU-Renovierungsstrategien im Gebäudesektor zeigen.

Traditionell wachsen kleine und mittlere Unternehmen stärker als große Unternehmen – allerdings werden sie in Krisenzeiten auch temporär stärker durchgeschüttelt, was 2022 eindrucksvoll zu beobachten war. Dementsprechend spricht vieles dafür, dass sich der Einstieg bei den besten Nebenwerten für den Langfristinvestor auszahlen dürfte. Nach der extremen Abwärtsbewegung letztes Jahr könnte es für Investoren sogar die beste Chance seit der Finanzkrise 2008 sein, gezielt in dieses Segment zu investieren. Wenn man Unternehmen im Portfolio hat, die mit einer jährlichen Rate von 15 bis 20 Prozent hochprofitabel wachsen, dann sollte auch der Gegenwind von der Zinsseite mittelfristig keine allzu große Rolle spielen. Viele kleine Firmen, die auf hohen Cash-Beständen sitzen, profitieren sogar von den aktuell höheren Zinsen. Die Zeit ist also unserer Meinung nach günstig, um langfristig auf Nebenwerte zu setzen.“

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