Gibt es eine ESG-Blase?

- Thierry Roncalli
- Amundi Institute
FRANKFURT – „Welchen Einfluss haben Klimainvestitionen auf die Rendite?“, fragt Thierry Roncalli vom Amundi Institute in einer aktuellen Untersuchung, um herauszufinden, ob es bereits eine Blase auf dem Markt für ESG-Investitionen gibt.
Ab hier folgt der unredigierte Marktkommentar von Thierry Roncalli, Head of Quantitative Research beim Amundi Institute:
„Gibt es aktuell eigentlich eine ESG-Risikoprämie? Bei einer Risikoprämie handelt es sich um die erwartete Überschussrendite, die Anleger erzielen, weil sie einem systematischen Risiko ausgesetzt sind. Aus theoretischer Sicht besteht ein Konsens darüber, dass die Risikoprämie von braunen, also herkömmlichen, Anlagen positiv ist, die Risikoprämie für grüne Anlagen negativ. Bei Investitionen in braune Vermögenswerte bestehen aufgrund verschiedener Faktoren wie CO2-Preisen, Regulierung, Reputationsrisiken, Stranden von Vermögenswerten und Klima-Absicherungsrisiken ein systematisches Marktrisiko; bei grünen Investments ist dies weniger oft der Fall.
Von einer ESG-Blase kann keine Rede sein
Und was ist mit der ESG-Blase? Aus unserer Sicht gibt es keine Blase am Markt für ESG-Investments. Eine Finanzblase ist normalerweise durch einen starken Anstieg des Marktpreises bestimmter Vermögenswerte gekennzeichnet. Auf diese Situation folgt ein Crash, weil ein zunehmendes Ungleichgewicht zwischen dem fundamentalen Wert und dem Marktwert dieser Vermögenswerte besteht. Eine Finanzblase bedeutet also, dass auf einen Kaufdruck ein Verkaufsdruck der Anleger folgt. Diese Ungleichgewichte sind beide durch das spontane Verhalten motiviert.
Der Fall liegt bei ESG-Investitionen aber anders. ESG-Anleger investieren in Vermögenswerte auch aus außerfinanziellen und nicht ausschließlich aus finanziellen Gründen. Sie kaufen kaum ESG-freundliche Vermögenswerte mit der Basismotivation, diese Vermögenswerte in der Zukunft zu verkaufen, wenn sie sich nicht bewähren. Es ist ein ganz anderer Anlagestil, der auch durch moralische Werte, Ethik oder verantwortungsvolles Handeln motiviert ist.
Es ist richtig, dass es einen ESG-Trend gibt, aber die Existenz einer ESG-Blase wird stark überschätzt. So ist es eher unwahrscheinlich, dass ESG-Investoren den Anlagen – auch in schwierigeren Marktphasen – generell den Rücken zukehren. Denn es handelt sich eher um eine strukturelle Veränderung der Investitionen, also um einen Paradigmenwechsel des Finanzmarktes, als um einen kurzfristigen Trend.
Dennoch: Bei grünen Vermögenswerten besteht ein potenzielles Verdrängungsrisiko von vielleicht kleineren Unternehmen, da das Universum der grünen Vermögenswerte relativ klein ist. Selbst wenn es deutlich zunimmt, ist die Nachfrage nach klimafreundlichen Anlagen derzeit enorm. So beobachten wir auch eine grundsätzliche Verschiebung der Anlegerpräferenzen, da die Verlangsamung des Klimawandels für die Finanzwelt zu einem immer größeren Anliegen wird.
ESG-Analysen: Rein finanzielle Unternehmensbewertung wird schwieriger
Der traditionelle Ansatz zur Analyse eines Wertpapiers ist generell überholt. Heute gehen Fundamentalanalyse und außerfinanzielle Analysen, wie die ESG-Analyse, Hand in Hand. Daher muss das Konzept des fairen oder fundamentalen Preises auch eine außerfinanzielle Dimension umfassen. Der Business-as-usual-Ansatz ging noch davon aus, dass der fundamentale Vermögenspreis unabhängig von ESG-Risiken ist. Es gibt also aktuell nicht nur in Bezug auf den Investitionsrahmen einen Paradigmenwechsel, sondern auch bezüglich der Bewertung. Heute liefert die ESG-Analyse Informationen, die zur Bestimmung des fairen Preises von Wertpapieren beitragen. Ein Aktien- oder ein Anleiheanalyst kann diese Informationen nicht ignorieren. Es ist schwierig, die Auswirkungen von ESG-Analysen von denen anderer Unternehmensanalysen zu trennen und zu messen.
Die Messung der ESG-Performance ist stark vom ESG-Ansatz des Anlegers abhängig. ESG-Investitionen, insbesondere die das „S“ und das „G“ betreffen, lassen sich nicht auf eine Übergewichtung der Best-in-Class-Anlagen und eine Untergewichtung der Worst-in-Class-Anlagen reduzieren. Lange Zeit dominierten Ausschluss-, Value- und Selektionsstrategien den Markt für ESG-Investitionen. Laut der Global Sustainable Investment Alliance machten diese Strategien 2014 etwa 56 % aus, heute sind es nur noch 35 %.
Wenn wir uns auf die letzten zwei Jahre konzentrieren, stellen wir außerdem fest, dass das jährliche Wachstum für thematische, Integrations- und Engagement-Strategien positiv und für Auswahl-, Ausschluss-, Impact-Investing- und Werte-Strategien negativ ist. Daher sind theoretische akademische Modelle, die nur die Best-in-Class-Auswahl und den Worst-in-Class-Ausschluss berücksichtigen, nicht repräsentativ für den umfassenden ESG-Investmentmarkt. So können beispielsweise ESG-Dynamik- oder Impact-Investing-Strategien nicht in diese Kategorien eingeordnet werden. Deshalb haben wir innerhalb von ESG-Portfolios eine größere Streuung als bei Value- oder Quality-Portfolios. Diese Zahlen bestätigen auch, dass sich fundamentale und ESG-Analysen einander annähern, da 43 % des ESG-Investmentmarktes einem vollständig integrierten Ansatz entsprechen.“
Weitere Informationen finden sich im Thematic Paper Shifts & Narratives #15 „The Green risk premium and the performance(s) of ESG investing“ und im Amundi Research Center.