Geldpolitik zwischen Inflationsdruck und Stagflationsangst

  • Carsten Mumm
  • DONNER & REUSCHEL

FRANKFURT – „Die EZB befindet sich vor der Sitzung des EZB-Rates in dieser Woche in einer schwierigen Gemengelage“, befindet Carsten Mumm von DONNER & REUSCHEL. Einerseits sei ein weniger expansiver geldpolitischer Kurs dringend geboten – andererseits bestünden erhebliche wirtschaftliche Unsicherheiten.


Ab hier folgt der unredigierte Marktkommentar von Carsten Mumm, Chefvolkswirt bei der Privatbank DONNER & REUSCHEL:

„Die konkrete Perspektive von Leitzinsanhebungen im Laufe des zweiten Halbjahres 2022 würde wenigstens den Eurokurs stabilisieren, dessen Schwäche aktuell den Einkauf von vielfach in US-Dollar gehandelten Rohstoffen und sonstigen Gütern zusätzlich verteuert. Ein Teil der Inflation wird somit derzeit importiert. Andererseits bestehen angesichts des unberechenbaren Fortgangs der Ukrainekrise und drohender weiterer Sanktionen und Gegensanktionen erhebliche wirtschaftliche Unsicherheiten.
Auch darf natürlich kein Zweifel daran aufkommen, dass sich alle Euro-Staaten in einem Umfeld steigender Zinsen weiter refinanzieren können. Risikoprämien für europäische Staatsanleihen im Vergleich zu Bundesanleihen müssen also niedrig gehalten werden. Dabei ist die EZB bei der letzten Ratssitzung im März bereits tätig geworden, indem das Auslaufen der Nettowertpapierkäufe im Rahmen des APP-Programms (Asset Purchase Programme) eingeläutet und damit die Basis für eine komplette Beendigung im dritten Quartal geschaffen wurde.
Einer Zinserhöhung im dritten oder vierten Quartal stünde somit grundsätzlich nichts mehr im Wege, wäre da nicht der drohende erneute stagflationär wirkende Angebotsschock im Falle eines kompletten Stopps von Rohstofflieferungen aus Russland. Trotzdem dürfte EZB-Präsidentin Lagarde ihre Entschlossenheit bei der Bekämpfung der Inflation untermauern und gleichzeitig betonen, dass man auf Veränderungen der konjunkturellen Perspektiven flexibel reagieren werde.
Um trotz des Beginns der Zinswende im Laufe des Jahres keine erneute Staatsschuldenkrise in der Eurozone zu riskieren, ist seit einiger Zeit die Einführung eines Mechanismus für eine Krisenintervention im Gespräch, mit dessen Hilfe man einzelnen Staaten im Falle zu stark steigender Zinsen beiseite stehen könnte. Zwar gibt es dazu noch keine konkreten Verlautbarungen vonseiten der Notenbank, idealerweise reicht aber auch eine vage Ankündigung und es kommt gar nicht erst zu einer Spekulation des Marktes auf stark steigende Risikoprämien.
So oder so bleibt das Umfeld anspruchsvoll, nicht zuletzt auch für Anleger, für die sich das tief negative Realzinsniveau kurzfristig kaum ändern dürfte.“

Zurückzum Seitenanfang