Italien aktiviert nicht ausgeschöpftes Potenzial

  • Francesco De Astis
  • Head of Italian Equity
  • Eurizon

MÜNCHEN – Italien gilt derzeit als eines der wirtschaftlich aussichtsreichsten Länder Europas. Die Solidität, die Italiens Ministerpräsident Mario Draghi ausstrahlt, gepaart mit dem Aufbau- und Resilienzplan PNRR könnten das Wirtschaftswachstum beflügeln, wie Francesco De Astis, Leiter des italienischen Aktienbereichs bei Eurizon, erklärt, was sich wiederum positiv auf den Mailänder Aktienmarkt auswirken könnte.

? Francesco, die Zeichen stehen gut, dass 2022 ein wirtschaftlich sehr gutes Jahr für Italien werden könnte. Welche Art von Entwicklung erwarten Sie?

Francesco De Astis: Für 2022 sind vor allem positive Auswirkungen aus den Investitionen im Rahmen des italienischen Aufbau- und Resilienzplans PNRR zu erwarten. Die 51 für das Jahresende gesetzten Ziele sind fast alle erreicht. Damit kann die nächste Tranche im Januar ausgezahlt werden. Natürlich wird der globale Kontext eine wichtige Rolle spielen, insbesondere die Entwicklung der Engpässe in der Versorgungskette, die Pandemie und auch die Dynamik bei den Rohstoffen, vor allem beim Erdgas, auf dem der geopolitische Faktor Russland schwer lastet. Italien wird in einer aktuellen Umfrage der Bank of AmericaML als der bevorzugte europäische Aktienmarkt von globalen Managern genannt.

? Mit welchen Spätfolgen der Coronapandemie wird die italienische Wirtschaft noch zu kämpfen haben?

De Astis: Die Auswirkungen der Pandemie dürften von der Ausbreitung der Omicron-Variante abhängen. Insgesamt aber scheint das italienische System im Moment viel besser auf eine weitere Welle vorbereitet zu sein, insbesondere dank der raschen Impfpolitik bei der dritten Impfung.

? Wie stark ist das deutlich gestiegene Vertrauen in Italien mit der Person von Mario Draghi als italienischem Ministerpräsidenten verbunden?

De Astis: Draghis Anwesenheit ist sehr wichtig, vor allem in einem Jahr wie 2022, in dem die Überarbeitung des EU-Stabilitäts- und Wachstumspakts nach der Pandemie diskutiert werden muss. Unter diesem Gesichtspunkt könnte die mit Frankreich durch den Quirinal-Vertrag geschaffene Allianz dazu beitragen, eine Revision des Paktes in einem zu restriktiven Sinne zu verhindern, wie sie der neue deutsche Finanzminister zu fordern scheint.

? Wie sieht Draghis bisherige Erfolgsbilanz aus?

De Astis: Derzeit sind Auswirkungen auf die Märkte in Bezug auf die Spreads und die Performance des italienischen Leitindex FTSEMIB-Index nicht erkennbar – die Spreads steigen und die FTSEMIB-Performance entspricht im bisherigen Jahresverlauf im Wesentlichen der des Euro Stoxx 50. Die größten Auswirkungen zeigten sich vor allem in der Performance mittelgroßer und kleinerer Unternehmen sowie in der Wahrnehmung der globalen Anleger, wie beispielsweise die aktuelle Umfrage von Bank of AmericaML zeigt. Auch bei den Rating-Agenturen waren die Auswirkungen deutlich zu spüren: S&P und DBRS Morningstar revidierten ihren Ausblick positiv und Fitch stufte sein Rating sogar um eine Stufe herauf. Die Anleger warten wahrscheinlich auf die kommenden politischen Entwicklungen nach der Präsidentschaftswahl im Januar, um zu verstehen, welche Rolle Draghi im Jahr 2022 spielen wird.

? Wird er in der Lage sein, eingefahrene Strukturen dauerhaft zu verändern?

De Astis: Die Anwesenheit von Draghi auch im Jahr 2022 könnte die operativen Leitlinien des italienischen Aufbauplans PNRR prägen, die dann auch nach den Parlamentswahlen im Jahr 2023 beibehalten werden könnten.  Damit wäre eine Roadmap festgelegt, deren Entwicklung im Moment noch im Gange ist.

? Welche Umstrukturierungen oder Reformen erwarten Sie hier?

De Astis: Zahlreiche Reformen, die von der Justiz über das Steuerwesen, den Vergabekodex und das Wettbewerbsrecht bis hin zur Definition der Governance des gesamten PNRR-Plans reichen.

? Welche Erwartungen haben Sie in Bezug auf die Investitionstätigkeit?

De Astis: Investitionen sind der wichtigste Motor des PNRR-Plans, und zwar innerhalb der beiden thematischen Stränge „Green“ und „Digitalisierung“. Auf diese Weise wird die enorme Liquidität, die die EZB zur Verfügung stellt, auch in der Realwirtschaft wirksam.

? In welchen Bereichen wird sich die internationale Wettbewerbsfähigkeit Italiens voraussichtlich verbessern?

De Astis: Der Reformplan – und hier insbesondere die Justizreform – trägt dazu bei, Italien zuverlässiger und auch für globale Investoren verständlicher zu machen. Ein Italien mit stärkerer Digitalisierung und weniger regulatorischen Engpässen verschiedenster Art wäre in der Lage, das in den letzten Jahren nicht ausgeschöpfte Potenzial zu nutzen. Ein erstes Beispiel zeigte sich bereits im Jahr 2021. Das starke BIP-Wachstum ist zum einen sicher das Ergebnis der Erholung nach der Pandemie. Es ist aber auch ein erstes Anzeichen dafür, dass bislang nicht ausgeschöpftes Potenzial aktiviert wurde. Ein Beweis dafür ist die Tatsache, dass das Wachstum Italiens im Jahr 2021 das der gesamten Eurozone um über einen Prozentpunkt übertreffen könnte.

? Die Stabilität Italiens ist auch mit den Ankaufprogrammen der Europäischen Zentralbank verbunden. Welche Folgen erwarten Sie diesbezüglich mit dem Auslaufen des Pandemie-Notfallankaufprogramms PEPP?

De Astis: Die EZB wird wahrscheinlich weiterhin für expansive Rahmenbedingungen sorgen, indem sie einen Teil des PEPP in das Asset Purchase Programm APP umwandelt und darüber hinaus den Zeitrahmen für die Reinvestition verlängert, der zurzeit für Anleihen, die im Rahmen des PEPP gekauft wurden, noch bis Ende 2023 geht. Außerdem scheint die EZB die Absicht zu haben, die Zinssätze im Jahr 2022 nicht anzuheben. In jedem Fall sollte das Auslaufen des PEPP im März 2022 nicht so verstanden werden, dass das Programm für immer beendet ist, sondern dass es vielmehr in Bereitschaft steht, um im Bedarfsfall wieder aufgenommen zu werden. Folglich könnte die geringere QE-Dosis, die sich aus dem Auslaufen des PEPP ergibt, für Italien in der Tat vernachlässigbare Auswirkungen haben, solange ein Rahmen politischer Stabilität und die Verlässlichkeit bei der Umsetzung des PNRR bestätigt werden.

? Was können demzufolge Aktienanleger im Jahr 2022 erwarten?

De Astis: Die ersten Monate des Jahres dürften weltweit volatiler sein, da sich einige Zentralbanken, wie etwa die Fed, stärker auf die Bekämpfung der hohen Inflation konzentrieren werden. Zwischen dem ersten und dem zweiten Quartal könnte sich die Nachfrage jedoch unter dem Einfluss der hohen Inflation verlangsamen, dann würden die erwarteten Zinserhöhungen möglicherweise niedriger ausfallen, um das Wachstum nicht übermäßig zu belasten. In diesem Zusammenhang könnten die Aktienmärkte ab diesem Zeitpunkt eine entscheidende Erholung verzeichnen.

Über Francesco De Astis

Francesco De Astis ist seit seinem Eintritt in die Intesa Sanpaolo Gruppe im Jahr 2001 Leiter des italienischen Aktienbereichs bei Eurizon. Mit einem Master in Finanzanalyse von der L.U.I.S.S. School of Management in Rom trat er 1989 in den Finanzbereich ein und verfügt über rund 30 Jahre Erfahrung im Bereich der Vermögensverwaltung.

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