EU-Wiederaufbauplan bietet nur Aussicht auf höhere Schulden bei begrenzter Nachhaltigkeit

  • Hans Stegeman
  • Chief Investment Strategist
  • Triodos Investment Management

FRANKFURT — Für Hans Stegeman, Chief Investment Strategist bei Triodos Investment Management ist das Wiederaufbauprogramm „Next Generation EU“ in erster Linie ein Garant für mehr Schulden bei begrenzter Nachhaltigkeit. Für ihn bietet es keine Aussicht auf eine stabilere EU. Zudem sei das Programm viel zu klein um großen Einfluss zu entfalten.


Ab hier folgt die unredigierte Mitteilung des Emittenten:

Ökonomen fordern schon seit Jahren, dass zu einer gemeinsamen Währung auch eine gemeinsame Fiskal- und Wirtschaftspolitik gehört. In diesem Sinne ist der neue Deal ein echter Schritt vorwärts: Es wird einen von Europa finanzierten Fonds geben und es wird die Möglichkeit geben, Steuern auf europäischer Ebene zu erheben.

Von der Währungsunion zur Schuldenunion
Mit dem Programm wird ein erster Schritt in Richtung Vergemeinschaftung der europäischen Schulden gemacht. Ein vor allem für Südeuropa wichtiger Punkt ist, dass Wirtschaftsreformen diesmal keine Voraussetzung für die Hilfe darstellen. Und obgleich dies alles nur temporär ist, lehrt die europäische Geschichte, dass temporär eingesetzte Instrumente oft einen permanenten Charakter bekommen. Die Verteilung der Gelder erfolgt teilweise aufgrund der Größe der Volkswirtschaft eines Landes und teilweise aufgrund dessen, wie schwer das Land durch die Krise getroffen wurde. Die gern bemühte Solidarität gibt es dabei nur sehr begrenzt: Alle Staatsschulden bleiben bestehen. Nur für zusätzliche Schulden gilt die Solidarität.

Der Fonds wird zunächst durch die Emission von EU-Anleihen finanziert. Damit wird das Tabu, dass die Europäische Union (EU) nicht selbst auf den Kapitalmarkt gehen darf, endlich aufgehoben. Ebenfalls neu ist, dass Europa die Möglichkeit hat, diese Schulden durch gemeinsame (neue) Steuern zu finanzieren, zum Beispiel eine Plastikabgabe oder CO2-Zölle für importierte Waren. Diese Steuerquellen passen gut zur vorgegebenen Richtung des Wiederaufbaufonds und zum neuen EU-Haushalt: mehr Raum für Nachhaltigkeit.

Reicht das?
Trotz aller erkennbaren Bemühungen in Richtung einer solidarischen Lösung lässt sich einige Kritik üben. Erstens ist das Programm viel zu klein, um wirklich großen Einfluss zu haben. 750 Milliarden entsprechen weniger als 5 % des BIP der EU. Es ist für einen Zeitraum von mehreren Jahren (2021–2025) vorgesehen und wird somit längst nicht genug sein, um die Auswirkungen der Coronakrise zu bekämpfen. Zweitens gilt es ein sehr kompliziertes Verfahren zu durchlaufen, bevor auch nur ein Cent zur Verfügung gestellt wird. Die nationalen Regierungen müssen zuerst Pläne erstellen, die auf europäischer Ebene geprüft werden müssen und erst dann kann ein Zuschuss oder Kredit gewährt werden. Hinzu kommt: Die Bedingungen für diesen neuen Kredit umfassen keine Reformauflagen wie bei bisherigen Formen der Hilfe. Drittens ging der Kompromiss auf Kosten von Finanzmitteln, die zu einer besseren Nachhaltigkeit der EU hätten beitragen können: Geld für Forschung, Gesundheitsversorgung und ein weiterer Teil für nachhaltigen Wiederaufbau.

Der wichtigste Kritikpunkt: Das Abkommen zeigt wieder das Demokratiedefizit Europas und erhält die Divergenzen zwischen den einzelnen Ländern aufrecht. Der Kompromiss ist so abstrakt, dass die meisten Europäerinnen und Europäer die Folgen nicht abschätzen können. Denn erstmals wurde ein Tabu gebrochen: mehr Raum für gemeinsame Politik, während gleichzeitig die Wirtschaftskonvergenz nicht weiter unterstützt wird. Solange es kein klares Bekenntnis dazu gibt, werden verschiedene Gruppen von Ländern immer unterschiedliche Interessen vertreten und von Solidarität wird keine Rede sein. Ein weitreichender Anstieg des gemeinsamen Schuldenbergs lässt sich schon heute skizzieren: Die Länder Südeuropas werden es in der Eurozone auch weiter schwer haben; strukturelle Reformen werden nicht erzwungen. Neben der geldpolitischen Betäubung haben wir nun die Möglichkeit des europäischen Schuldentransfers als zweites Ventil. Der einzige Vorteil ist, dass dieses etwas grüner geworden ist, aber es bietet keine Aussicht auf eine stabilere EU. Das Einzige, worauf sich zukünftige Generationen verlassen können, ist, dass sie höhere Schulden tragen werden.

Über Triodos Investment Management

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