DJE-Marktkommentar: Fokus Asien – Welche Aussichten sich Anlegern in der konfliktgeplagten Region bieten

- Dr. Jan Ehrhardt
- DJE
FRANKFURT — „Die Wirtschaft in Hong Kong leidet stark unter den andauernden Protesten“, ist das Fazit einer Researchreise von DJE-Vorstand Dr. Jan Ehrhardt nach Fernost. Weitere Eindrücke sind, dass die wirtschaftliche Entwicklung Chinas positiv überraschen könnte und eine temporäre Einigung im Handelsstreit nicht ausgeschlossen scheint.
Ab hier folgt die unredigierte Mitteilung des Emittenten:
„Kurzer Blick zurück: Seit vielen Jahren reisen wir unter anderem im September gemeinsam nach Asien, konkret: nach Hong Kong/Macau und Festlandchina. Auch 2019 waren wir wieder vor Ort“, erklärt Dr. Jan Ehrhardt, Mitglied des Vorstands von DJE. „Während die erste Woche geprägt war von Unternehmensbesuchen in Hong Kong und Macau sowie einem Besuch der zur Provinz Guangdong gehörenden Sonderverwaltungszone Henqin Island, stand in der zweiten Woche das „CLSA Investor Forum“ auf der Agenda – eine der größten und wichtigsten Investmentkonferenzen des asiatisch-pazifischen Raums.
Insgesamt hatten wir so die Gelegenheit, nicht nur die größten Unternehmen Asiens, wie den chinesischen Internetkonzern Tencent oder den taiwanesischen Chiphersteller Taiwan Semiconductor, zu treffen, sondern auch ausgewählte Experten. Unter anderem sprachen wir mit dem ehemaligen australischen Premierminister Kevin Rudd, Ex-US-Außenminister John Kerry oder dem US-amerikanischen Meinungsforscher und Politikberater Frank Luntz über die weitere Entwicklung des Handelskriegs zwischen den USA und China sowie über die aktuelle Situation der US-Politik und den bevorstehenden Wahlkampf für die Präsidentschaftswahl 2020.
Andauernde Proteste lähmen Hong Kongs Wirtschaft
Dominierendes Thema in Hong Kong sind die inzwischen seit nunmehr 15 Wochen andauernden Proteste. Die anfangs friedlichen Demonstrationen wurden mehr und mehr von gewalttätigen Auseinandersetzungen überschattet. Im chinesischen Staatsfernsehen überwiegen bei der Berichterstattung aus Hong Kong dabei Bilder bzw. Szenen gewalttätiger Ausschreitungen. Dies hat dazu geführt, dass die Anzahl chinesischer Festland-Touristen seit Juli/August massiv zurückgegangen ist. Hiervon belastet sind vor allem Bereiche wie Hotel- und Gaststättengewerbe, Einzelhandel und Fluglinien. Hotelbetreiber berichteten in Gesprächen von zuletzt nur 20 bis 30 Prozent Auslastung. Betreiber von Einkaufszentren oder Einzelhändler befürchten Umsatzeinbußen im August von bis zu 40 Prozent.
Demzufolge leidet die Wirtschaft in Hong Kong stark unter dem Rückgang der Touristenzahlen. Gerade der Absatz von zum Beispiel Luxusgütern, Babymilchpulver oder Kosmetik hängt stark von der Anzahl an Touristen ab. Einige Restaurants mussten bereits schließen – und erste Mitarbeiter in Hotels werden entlassen oder in unbezahlten Urlaub geschickt. Am Immobilienmarkt sind viele Teilnehmer in einer Schockstarre. Es finden kaum Transaktionen am Sekundärmarkt statt. Der Primärmarkt hingegen funktioniert weiter gut, da die Entwickler zehn Prozent Abschlag auf neue Wohnungen anbieten und es weiterhin genug lokale Käufer gibt. Der Büromarkt hält sich bislang auch noch gut. Die Vermieter bzw. Betreiber von Einzelhandelsimmobilien vergleichen die aktuelle Situation hingegen mit SARS (Vogelgrippe) im Jahr 2003. Die Wahrscheinlichkeit weiterer Preisrückgänge im Immobilienbereich ist demzufolge gegeben. Es dürfte aktuell trotz hohem Abschlag der notierten Immobilienfirmen noch zu früh sein, um erneut in den Bereich zu investieren.
Mittelfristig sollte sich die Lage wieder bessern, da die Proteste – auch aufgrund des wirtschaftlichen Drucks – in der Bevölkerung Hong Kongs langsam weniger Rückhalt finden. Jedoch wird es auch bei einer Beruhigung der Lage länger dauern, bis die chinesischen Touristen zurückkehren.
Macau – die zweite Sonderverwaltungszone entwickelt sich besser
Macau scheint sich aktuell eindeutig besser als Hong Kong zu entwickeln. Bis ca. Mitte August wuchs die Anzahl der Macau-Touristen um 15 bis 20 Prozent. In der zweiten August-Hälfte kam es dann aber auch zu einem Rückgang, vor allem bedingt durch die zeitweilige Schließung des Flughafens in Hong Kong. Die Anzahl chinesischer Touristen, die Hong Kong und Macau zusammen bereisen, lag vor ca. vier bis fünf Jahren noch bei 30 bis 40 Prozent. Heute dagegen sind dies nur noch zehn Prozent.
Aufgrund der massiv verbesserten Infrastruktur kann Macau heute viel einfacher erreicht werden, und man muss nicht mehr über Hong Kong anreisen. Die Infrastruktur rund um Macau wird sich auch in naher Zukunft weiter verbessern. Der fortschreitende Ausbau der an Macau grenzenden Insel Henquin als Messe- und Tagungszentrum sollte das Wachstum ab 2020 weiter begünstigen. Bei den Casino-Konzernen läuft der „Mass-Market“ weiter sehr gut, während das Geschäft mit den so genannten VIP-Spielern schwächelt. Die chinesische Regierung wird viel daransetzen, dass Macau eine Erfolgsstory bleibt. Chinesische Touristen lieben vor allem Sicherheit, chinesisches Essen und Service in chinesischer Sprache sowie ein breites Spektrum an Einkaufs- und Freizeitangeboten.
Die wirtschaftliche Entwicklung (Festland-)Chinas könnte positiv überraschen
Besser als Hong Kong entwickelt sich derzeit auch die Wirtschaft auf dem chinesischen Festland. Viele der getroffenen Unternehmer berichteten von einer verbesserten Auftragslage seit Juli. Unser Eindruck war, dass die Konjunktursituation vor Ort besser als allgemein erwartet ist. Vor allem Unternehmen, die beim Aufbau des neuen chinesischen 5G-Netzes involviert sind, stehen derzeit vor guten Geschäftsperspektiven. China treibt den Ausbau des neuen Mobilfunkstandards massiv voran und möchte zum Beispiel im nächsten Jahr mehr als zwei Millionen neue Basisstationen installieren. Die Aussage „5G is China’s answer to (mitigate) trade war“ hörten wir öfter.
Trotz der negativen Effekte aus dem Handelskrieg, die das chinesische GDP-Wachstum voraussichtlich um 30 bis 100 bps schmälern, ist die heutige Situation deutlich besser als im Jahr 2015. Damals fielen in China Unternehmensgewinne, Immobilienpreise und die Währung deutlich. Der wichtigste negative Effekt ist aktuell die mit dem Handelskonflikt verbundene Unsicherheit. Hauptrisiken für die Wirtschaft bleiben aber primär ein fallender Immobilienmarkt und Kapitalflucht. Beides sieht man aktuell nicht. Demzufolge könnte die chinesische Wirtschaft im Falle einer anhaltend expansiven Fiskalpolitik und einer (temporären) Einigung im Handelsstreit 2020 positiv überraschen.
Fazit: Temporäre Einigung im Handelsstreit scheint nicht ausgeschlossen
Eine Einigung bzw. ein Kompromiss im Handelskrieg erscheint im Laufe des 4. Quartals 2019 nicht ausgeschlossen. US-Präsident Trump scheint im Hinblick auf seine angestrebte Wiederwahl in 2020 eine schwache US-Wirtschaft bzw. eine (leichte) Rezession auf jeden Fall vermeiden zu wollen. Denn seit 1912 wurde nur ein einziger US-Präsident – Calvin Coolidge 1924 – in einer Rezessionsphase wiedergewählt. Demzufolge stehen die Chancen auf eine temporäre Einigung heute deutlich besser als noch vor einem Jahr. Ein Teil der Lösung könnte sein, dass China deutlich mehr US-Agrar- und Ölprodukte kauft und so sein Handelsbilanzdefizit mit den USA verringert. Eine temporäre Einigung könnte vor allem zyklische bzw. Value-Aktien aus Sektoren wie Chemie, Industrie oder Rohstoffe begünstigen, oder auch exportabhängige Märkte wie Deutschland wieder stärker in den Fokus rücken.“