Die Notenbanken machen ernst!

- Michael Winkler
- St.Galler Kantonalbank Deutschland AG
FRANKFURT – „Die EZB will die gesamtwirtschaftliche Nachfrage senken, um ein höheres Inflationsniveau zu verhindern“, sagt SGKB-Volkswirt Michael Winkler. Eine „geradezu epochalen Kursänderung der Notenbank“, auf die die Reaktion der Aktienmärkte eher moderat ausgefallen sei. Für einen breiten Einstieg in den Aktienmarkt dürfte es aber zu früh sein – „der Abwärtstrend ist noch intakt!“
Ab hier folgt der Marktkommentar von Michael Winkler, Leiter Anlagestrategie bei der St.Galler Kantonalbank Deutschland AG:
„Die Aktienmärkte blicken auf volatile Handelstage zurück, nachdem die Notenbanken, initial mit Jerome Powells Rede in Jackson Hole, die Marktteilnehmer auf eine fokussierte FED eingestellt und den Paradigmenwechsel vollzogen haben. Angesichts des weiterhin hohen Tempos der Geldentwertung in fast allen Industrieländern liegt der Fokus der Fed und nun auch der EZB eindeutig auf der Inflationsbekämpfung – ohne Rücksicht auf die Konjunkturentwicklung, auch eine Rezession wird in Kauf genommen.
Die EZB will, auch dies waren neue Töne, erklärtermaßen die gesamtwirtschaftliche Nachfrage senken, um ein dauerhaft höheres Inflationsniveau zu verhindern. Damit liegt die EZB auf einer Linie mit der Fed. Jerome Powell hatte beim Treffen der Notenbanker in Jackson Hole ebenfalls klargestellt, dass es um dauerhaft höhere Zinsen für eine längere Zeit geht.
Angesichts dieser geradezu epochalen Kursänderung der Notenbanken fällt die Reaktion der Aktienmärkte eher moderat aus. Die alten Tiefststände des Jahres 2022 wurden von den US-Aktienindizes wie S&P 500 nicht erneut getestet. Für den DAX ging es zwar etwas tiefer, neue Jahrestiefststände wurden aber auch hier nicht erreicht. Für diese Nachrichtenlage zeigen sich die Aktienmarktindizes zurzeit in stabiler Verfassung, ein erneut höherer Pessimismus der Marktteilnehmer wirkt hier stützend.
Die Erwartungen waren vor allem an die EZB sehr hoch, angesichts des jahrelangen Zögerns. Kurz gesagt kann man feststellen: Die EZB hat geliefert. Die jüngste Zinserhöhung von 75 Basispunkten war der größte Zinsschritt aller Zeiten. Gleichzeitig war die Kommunikation von EZB-Chefin Christin Lagarde endlich klarer: Man sei immer noch „weit vom finalen Zinssatz entfernt“. Wir erwarten die Spitze des Zinszyklus bei 2,5 Prozent, dieses Niveau sollte Anfang 2023 erreicht werden. Festverzinsliche Wertpapiere werden damit wieder attraktiv.
Wie geht es weiter? Das Kapitalmarktumfeld bleibt weiter sehr anspruchsvoll. 2022 ist und wird wohl auch kein gutes Aktienjahr mehr werden. Die Herausforderungen sind zahlreich: Es ist fraglich, ob Russland überhaupt wieder Gas liefert. Die europäischen Staaten haben gewaltige fiskalische Entlastungspakete beschlossen oder angekündigt, um die Auswirkungen der Energiepreise für Privathaushalte abzufedern. Die Lieferketten bleiben zudem weiter gespannt: In 33 Städten in China gilt weiter ein harter Lockdown, dazu kommen Spannungen mit Taiwan.
Trotzdem sind die Kapitalmärkte schon einen weiten Weg gen Süden gegangen: Chancen könnten Investoren in weniger zyklischen Sektoren wie Nahrungsmittel und Gesundheit, Unternehmen mit stabilem Geschäftsmodell und Preissetzungsmacht finden. Auch sollten Aktien von Versicherungsunternehmen von dem zukünftig höheren Zinsniveau profitieren. Für einen breiten Einstieg in den Aktienmarkt dürfte es aber noch zu früh sein, der Abwärtstrend ist noch intakt.“