Die dunkle Seite des Tech-Sektors

  • Louise Piffaut
  • Senior ESG Analyst
  • Aviva Investors

FRANKFURT – Wegen ihrer scheinbar sauberen Geschäftsmodelle mit nur wenig Anlagevermögen werden Technologieunternehmen oft von ESG-Fonds bevorzugt. Anleger sollten jedoch genauer hinschauen und die unethischen und nicht nachhaltigen Praktiken der Branche in Frage stellen, rät Louise Piffaut von Aviva Investors.

Ab hier folgt die unredigierte Analyse von Louise Piffaut, Senior ESG Analyst bei Aviva Investors:

„Die Kommunikationstechnologie war für viele Menschen in den dunkelsten Monaten der Corona-Pandemie ein Rettungsanker. Videoanrufe und Messaging-Plattformen hielten Familien in Verbindung und Unternehmen konnten ihren Betrieb aufrechterhalten, da die Mitarbeiter einfach ins Home-Office wechselten.

IT-Sektor als ESG-Liebling

Aufgrund der steigenden Nachfrage nach ihren Produkten sind die Börsenwerte von Technologiegiganten wie Alphabet, Facebook und Microsoft in den letzten zwölf Monaten in die Höhe geschnellt. Dies hat vielen Umwelt-, Sozial- und Governance-Fonds (ESG-Fonds) Auftrieb gegeben, die in der Regel ein hohes Engagement im Technologiesektor aufweisen. Eine kürzlich durchgeführte Studie ergab, dass Informationstechnologie der Sektor mit der größten Allokation unter den 20 größten von MSCI erfassten ESG-Fonds ist.

Auf der einen Seite ist die Vorliebe der ESG-Anleger für den Technologiesektor verständlich – und zwar nicht nur, weil die Angebote der Branche während der Pandemie einen gesellschaftlichen Nutzen hatten. Denn Technologie bietet vielen Gemeinschaften, vor allem in ärmeren Ländern, einen wichtigen Zugang zu Informationen und Bildung. Im Gegensatz zu Produktions- oder Energieunternehmen haben die meisten Technologieunternehmen keinen offensichtlichen ökologischen Fußabdruck und umgehen somit die Ausschlussbarrieren, die von einigen ESG-Anlegern verwendet werden.

Aber: Fondsmanager sollten sich davor hüten, sich nur auf Geschäftsmodelle zu konzentrieren und dabei die Auswirkungen von Geschäftspraktiken außer Acht zu lassen – und die Geschäftspraktiken vieler Technologieunternehmen verdienen ein genaueres Hinsehen.

Auch Datenverarbeitung hat einen CO2-Fußabdruck

Schauen wir zunächst auf die ökologischen Auswirkungen. Angesichts des immateriellen Charakters der digitalen Welt ist es vielleicht überraschend, dass Technologieunternehmen entweder direkt oder indirekt für erhebliche Kohlenstoffemissionen verantwortlich sind.

Es stimmt, dass digitale Lösungen oft sauberer sind als die Alternativen: Wenn wir zum Beispiel über einen Videoanruf sprechen, anstatt uns physisch zu treffen, vermeiden wir transportbedingte Emissionen. Dennoch verbraucht jede Online-Aktivität – vom Senden einer E-Mail bis zum Streaming einer Netflix-Serie oder eines Spotify-Titels – eine kleine Menge Energie. Betrachtet man die Gesamtheit inklusive aller Wiederholungen auf globaler Ebene, summieren sich diese Emissionen.

Eine 2018 veröffentlichte akademische Studie ergab, dass der relative Anteil der Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT)-Branche an den weltweiten Treibhausgasemissionen bis 2040 14 Prozent erreichen könnte, was etwa der Hälfte der relativen Emissionen des Verkehrssektors entspricht (Stand: 2016). Ein großer Teil des prognostizierten Anstiegs entfällt auf den Stromverbrauch von Smartphones.

Datennutzung ist nicht klimaneutral

Diese bemerkenswerten Ergebnisse verdeutlichen eine wichtige Tatsache: Datennutzung ist nicht klimaneutral. Große, temperaturgeregelte Rechenzentren sind erforderlich, um die riesigen Informationsmengen einer immer stärker vernetzten Welt zu verarbeiten und zu verwalten.

Es ist schwierig, genaue Zahlen über den Energieverbrauch von Rechenzentren zu erhalten, aber einigen neueren Schätzungen zufolge entfiel 2019 ein Prozent des weltweiten Stromverbrauchs auf sie – was 18 Millionen US-Haushalten entspricht. Fest steht: Die Nachfrage nach Datenverarbeitung wird in der Ära des Cloud-Computing und des Internets der Dinge nur noch weiter steigen.

Technologieunternehmen wie Alphabet und Microsoft haben sich in den letzten Jahren bemüht, ihre Rechenzentren mit erneuerbarer Energie zu versorgen. Beide Unternehmen haben auch neue Innovationen angekündigt, wie etwa die Unterwasserlagerung dieser Einrichtungen, um sie kühl zu halten und so Strom zu sparen. Obwohl dies gutzuheißende Initiativen sind, werden viele Rechenzentren immer noch mit Strom aus nicht erneuerbaren Quellen betrieben.

Im Jahr 2019 machten erneuerbare Energien nur zwölf Prozent des Stroms aus, den einige der größten Rechenzentren von Amazon in den USA verbrauchten – und das Cloud-basierte Geschäft des Unternehmens expandierte seitdem, ohne dass die Nutzung erneuerbarer Energien entsprechend zunahm. Letztendlich stehen auch Technologiefirmen in der Verantwortung, sauberere und effizientere Wege für ihre Geschäftstätigkeiten zu finden.

Die Steuerfrage wird zum S-Faktor

Steuern sind ein weiteres wichtiges Thema, das Tech-Investoren auf dem Radar haben sollten. Viele multinationale Unternehmen setzen sehr geschickt steuermindernde Maßnahmen ein, auch „Base Erosion and Profit Shifting“ (BEPS) genannt. Heißt: Sie nutzen Unstimmigkeiten im internationalen Recht aus, um ihre Steuerschuld in Ländern mit niedrigeren Steuersätzen abzugelten. Hier gehören Technologieunternehmen zu den schlimmsten Übeltätern.

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) schätzt, dass den Regierungen aufgrund von BEPS jedes Jahr 100 bis 240 Milliarden Dollar entgehen – Geld, das für Bildung, Gesundheitswesen, Infrastruktur oder Lösungen für die Klimakrise ausgegeben werden könnte.

Ziel der ESG-Investitionen sollte es sein, Unternehmen zu belohnen, die zur Schaffung von Gemeinwohl beitragen. Indem sie den Staaten Steuereinnahmen vorenthalten, die für die Finanzierung lebenswichtiger Leistungen zur Verfügung stehen sollten, verletzen BEPS-Regelungen diesen Grundsatz. In diesem Sinne wird die Steuer zur sozialen Frage. Technologieplattformen mögen von der realen Welt losgelöst erscheinen, aber Steuervermeidung hat tiefgreifende Auswirkungen auf die Gemeinschaften, in denen ihre Mitarbeiter, Kunden und Stakeholder leben.

Die politischen Entscheidungsträger der G7-Staaten feilen derzeit an den Details eines koordinierten Plans, der darauf abzielt, die entsprechenden Schlupflöcher zu schließen und große Unternehmen zu zwingen, in den Ländern Steuern zu zahlen, in denen sie hohe Gewinne erzielen – unabhängig davon, ob sie dort eine physische Präsenz haben oder nicht.

Die Regierung Biden drängt ebenfalls auf einen globalen Mindeststeuersatz für Unternehmen von mindestens 15 Prozent. Solche Schritte sind zu begrüßen, sofern die daraus resultierenden Einnahmen gerecht zwischen Ländern mit hohem und niedrigem Einkommen verteilt werden. Zusätzliche Steuereinnahmen könnten in Programme investiert werden, die das soziale und wirtschaftliche Gefüge stärken und unsere kollektive Widerstandsfähigkeit für die nächste globale Krise verbessern.

Bei der Unternehmensführung besteht Nachholbedarf

Ein drittes zentrales Thema betrifft das „G“ in ESG. Viele Unternehmen verfügen über sogenannte Zwei-Klassen-Aktienstrukturen, die es den Gründern dieser Unternehmen ermöglichen, ein erhebliches Maß an Kontrolle zu behalten. So haben beispielsweise Mark Zuckerberg von Facebook und die Alphabet-Gründer Larry Page und Sergey Brin die Mehrheit der Stimmrechte.

Die starke Marktperformance von Big Tech in den letzten zehn Jahren hat diesbezüglichen Anlegerunmut etwas gelindert, aber der Druck, die Governance-Strukturen dieser Unternehmen zu reformieren, wächst. Im Jahr 2020 stimmten mehr als 30 Prozent der Alphabet-Aktionäre für einen Beschluss zur Abschaffung der unterschiedlichen Aktiengattungen, mit der Begründung, dass solche Strukturen die Positionen von Führungskräften noch weiter festigen und sie vor Druck und Kontrolle von außen schützen.

Technologieunternehmen gewinnen in der Gesellschaft immer mehr an Macht und führen rasch Innovationen ein, die heikle ethische Fragen aufwerfen. Man denke nur an die Datenschutz-Fragen, die durch künstliche Intelligenz und Gesichtserkennungsalgorithmen aufgeworfen werden – oder an die Debatte über die Verantwortung für die Moderation von Hassinhalten und die Rolle von Fake News bei der Beeinflussung demokratischer Ergebnisse. Oder an den besorgniserregenden Mangel an Sicherheitsvorkehrungen, um Kinder im Internet zu schützen. In diesem Zusammenhang wird eine gute Unternehmensführung mit unabhängigen Gremien, die Führungskräfte angemessen zur Verantwortung ziehen können, unerlässlich.

Eine Frage der Governance

Die Frage der Governance hängt mit einem weiteren zentralen Problem zusammen: Vielfalt und Integration. Die Führungskräfte, die in diesen Organisationen die Macht ausüben, sind in der Regel überwiegend weiß und männlich. Fortschritte in dieser Hinsicht sind nach wie vor gering – trotz der in den letzten Jahren verbesserten Transparenz bei der Berichterstattung hinsichtlich Geschlechter und ethnischer Zugehörigkeiten. Der jüngste Diversity-Bericht von Google zeigt, dass sich im Jahr 2020 nur 3,7 Prozent der US-Mitarbeiter und 2,6 Prozent der Führungskräfte als Schwarze identifizierten und von den Führungskräften der weltweiten Belegschaft waren nur 26,7 Prozent Frauen.

Jeder dieser Punkte sollte von den Anlegern näher untersucht werden. Wir führen sie hier nicht an, weil wir alle Antworten kennen und auch nicht, weil wir der Meinung sind, dass Anleger die Branche gänzlich meiden sollten. Vielmehr geht es darum, dass Investoren die ESG-Implikationen von Big Tech klar erkennen und wo möglich mit diesen Firmen zusammenarbeiten, um die Praktiken zu verbessern. Schließlich wurden Fortschritte noch nie dadurch erzielt, dass man vor schwierigen Problemen die Augen verschlossen hat.“

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