Der „Stakeholder Carbon Footprint“ – ein anderer Blickwinkel auf den individuellen CO2-Abdruck!

- Christian Schwehm
- Calcolution
FRANKFURT – Die Gefahren der Klimakrise sind hinlänglich bekannt und derzeit wird fieberhaft an einer Vereinheitlichung der Reportingmethoden gearbeitet. Dabei empfiehlt sich auch der Blick auf den individuellen CO2-Abdruck, den „Stakeholder Carbon Footprint“, wie Experte Christian Schwehm von Calcolution erklärt, der auch gleich einen Lösungsvorschlag vorgelegt hat.
„Ein kürzlich erschienener Bericht der Global Reporting Initiative „ESG standards, frameworks and everything in between“ zeigt die Komplexität des Vorhabens.
Quelle - https://www.globalreporting.org/media/jxkgrggd/gri-perspective-esg-standards-frameworks.pdf
Offizielle Reportingstandards und -normen leisten einen wichtigen Beitrag für die globale Vergleichbarkeit des Status Quo. Für die tatsächliche Umsetzung von klimawirksamen Maßnahmen, müssen aber die relevanten Entscheidungsträger vom Nutzen der Anstrengungen überzeugt werden.
Das Greenhouse Gas Protocol unterscheidet im Reporting nach direkten (Scope 1) und indirekten Emissionen (Scope 2&3). Berechnet man nun den Fußabdruck aller Marktteilnehmer führt dies zu einer Mehrfachzählung der Emissionen. So werden beispielsweise die Betriebsemissionen eines Autos als direkte Emissionen des Autobesitzers, aber auch als indirekte Emissionen der Automobil- und Mineralölunternehmen gezählt.
Der „Stakeholder Carbon Footprint“ wählt hier einen neuartigen Ansatz und verteilt die Emissionen anhand des Nutzens und Einflusses. Als Stakeholder werden im Folgenden Unternehmen, Investoren, die Gesellschaft sowie Privatpersonen betrachtet.
Die additive Zuordnung der Emissionen führt zu einer deutlich stärkeren Personalisierung und unterstreicht damit Dringlichkeit, mit der wir vom Reden ins Handeln kommen müssen. Die direkte Zuordnung der Emissionen verhindert nämlich, dass sich ein Stakeholder aus der Verantwortung stiehlt, indem er die Schuld an den Emissionen einem anderen zuordnet. Nur durch die kooperative Umsetzung effizienter Maßnahmen können wir die Klimakrise in den Griff bekommen!
Das Konzept des Stakeholder Carbon Footprints:
Zunächst wird für alle klimarelevanten Aktivitäten eines Stakeholders die Ökobilanz für den kompletten Lebenszyklus berechnet. Diese Gesamtemissionen werden dann verursacherbasiert auf die einzelnen Jahre aufgeteilt. Jeder Stakeholder kann nun individuelle Maßnahmen umsetzen, um seinen Anteil an den Emissionen zu senken. |
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Die Darstellung verdeutlicht die Vorgehensweise am Beispiel des Spritverbrauchs:
Etwa ¾ der Gesamtemissionen entstehen bei der Verbrennung im Fahrzeug. Emissionen entstehen aber auch bei der Herstellung des Benzins in der Produktion sowie bei der Verteilung des Benzins über das Tankstellennetzwerk.
Diese Gesamtemissionen lassen sich nun auf die verschiedenen Stakeholdergruppen aufteilen. Die jeweiligen Gruppen können dann weiter detailliert werden, also Unternehmen in Mineralölkonzerne, Automobilhersteller, Autohäuser, Tankstellen, usw. und die Automobilhersteller beispielsweise in VW, BMW, Mercedes.
Eine verursacherbasierte Aufteilung der Emissionen orientiert sich dann am jeweiligen Nutzen und Einfluss der Stakeholder:
Betrachtet man nun statt des Spritverbrauchs die Aktivität Autofahren als Ganzes, dann müssen weitere Emissionen berücksichtigt werden. Im konkreten Beispiel sind die geschätzten Gesamtemissionen fast dreimal so hoch wie die offiziell genormten Herstellerangaben.
Dies erklärt sich über die zugrundeliegenden Systemgrenzen, denn für die Herstellerangaben werden lediglich die CO2-Emissionen aus der Verbrennung des Normverbrauchs am Auspuff berücksichtigt.
Damit die Nutzung des Autos möglich wird, sind aber viele weitere Emissionen für Produktion, Benzinherstellung, Infrastruktur oder Sicherheit notwendig.
Die Aufteilung dieser Gesamtemissionen auf die verschiedenen Stakeholdergruppen orientiert sich am Einfluss der Stakeholder auf die Aktivitätsmenge (also wie viel km wird das Auto bewegt) und auf den Emissionsfaktor (wie viel CO2 entsteht pro gefahrenem km).
Die Visualisierung der verantworteten Emissionen zwischen den Stakeholdern bietet eine hervorragende Grundlage für gemeinsame Diskussionen zur Emissionsreduktion und zur Steigerung des Prozessverständnisses.
Die additive Aufteilung der Gesamtemissionen erlaubt eine in sich konsistente Bewertung und – zumindest theoretisch – die Berechnung eines „fairen“ CO2-Preises.
Wenn ein Stakeholder mit dieser Methodik alle seine relevanten klimawirksamen Aktivitäten ermittelt, liefert dies ganz neue Einblicke. Der Stakeholder Carbon Footprint ermöglicht sogar die Berücksichtigung des Handabdrucks, also des Einflusses, den man selbst auf andere hat, damit diese ihren Fußabdruck durch entsprechende Verhaltensänderungen verringern. Dies kann beispielsweise durch das Gutschreiben von 10% der eingesparten Emissionen der Teilnehmer an den Initiator einer Klimawoche geschehen. Gleichzeitig bedeutet das aber auch, dass man für den Kauf von CO2-Zertifikaten nur einen Bruchteil angerechnet bekommt, insbesondere dann, wenn durch das Geld keine zusätzlichen Projekte finanziert werden, sondern sich lediglich der Geldgeber ändert.
Die resultierende Liste der größten gewichteten Emissionen eines Stakeholders wird nun mit Klimaschutzmaßnahmen in Verbindung gebracht. Nach einer individuellen Bewertung der „Kosten“ der Maßnahmen, kann danach eine Priorisierung gemäß dem Verhältnis von Klimaschutzpotenzial zu „gefühltem“ Aufwand durchgeführt werden.
Der Ansatz erlaubt somit ein individuelles Vorgehen bei der Identifikation der für den Stakeholder „richtigen“ Maßnahmen. Durch das aktive Teilen der Erfahrungen mit Peers und durch Skaleneffekte bei der gemeinsamen Umsetzung von Maßnahmen, lässt sich die positive ökologische Wirkung noch einmal deutlich erhöhen.
Aktuell ermitteln wir gemeinsam mit Christoph Klein (ESG Portfolio Management), Nils Giesen (abat), Sebastian van Vliet (id-report), Prof. Olaf Korn (Uni Göttingen) und Martin Hillenbrand (VfU) den Stakeholder Carbon Footprint für ESG Portfolio Management. Die Ergebnisse werden wir dann in einem Abschlussbericht mit dem Corporate Carbon Footprint gemäß dem Greenhouse Gas Protocol vergleichen.“
Christian Schwehm ist Gründer von Calcolution, für die er einen „Stakeholder Carbon Footprint“ entwickelt. Zuvor war der Wirtschaftsmathematiker unter anderem bei Quoniam Asset Management als Product Owner für die Neuentwicklung der Quoniam Investmentplattform tätig.
Calcolution ist das Start-up von Christian Schwehm, dass er nach 20 Jahren im Asset Management gemeinsam mit seiner Frau Yvonne aktuell gründet. Calcolution möchte mit Open-Source Lösungen auf Basis des Stakeholder Carbon Footprints die Kooperation im Nachhaltigkeitsbereich unterstützen. Ziel ist eine effiziente Maßnahmenpriorisierung und gemeinsame Umsetzung wirksamer Lösungen auf Basis der individuellen Einschätzungen. Weitere Informationen zum Stakeholder Carbon Footprint unter:
www.calcolution.org