Das Drama am Anleihemarkt

- Ronny Kohl
- TiAM – Trends im Asset Management
FRANKFURT — Investoren suchen händeringend nach lukrativen Zinspapieren. Die Folge: Der Anleihemarkt ist heute ein Verkäufermarkt. Schlimmer noch: Die Emittenten weichen die Kreditschutzklauseln immer stärker auf. Investoren müssen jetzt sehr genau hinschauen. Ein Beitrag von Ronny Kohl, TiAM – Trends im Asset Management
Der Verkaufsprospekt einer Anleihe ist heute oft so umfangreich wie Tolstois „Krieg und Frieden“ – nur noch anstrengender zu lesen. Leider müssen sich Investoren trotzdem durchbeißen, schließlich definieren die auch Covenants genannten Kreditschutzklauseln die Rechte der Kreditgeber. Sie sollen unter anderem sicherstellen, dass der Anleiheemittent die vertraglich vereinbarten Zinszahlungen leistet und am Ende der Laufzeit seinen Kreditgebern ihr Kapital zurückzahlt.
Viele Covenants sind heute kaum weniger dramatisch als Tolstois Meisterwerk. „Für Investoren ist alarmierend, dass sich die Gesamtausstattung von Anleihen mit Kreditschutzklauseln bereits seit einiger Zeit verschlechtert“, beklagt Martin Dropkin, Leiter Research für Anleihen bei Fidelity International. Ein von Moody’s ermittelter Index der Covenant-Qualität sei unlängst auf den niedrigsten Wert überhaupt gefallen. Hauptgrund: Es werden zunehmend sogenannte Cov-lite-Anleihen emittiert – die explizit eine schwächere Covenant-Ausstattung aufweisen. Im vergangenen Jahr habe sich zusätzlich sogar bei Anleihen mit vollwertigen Kreditschutzklauseln die Covenant-Qualität spürbar verschlechtert.
Dropkin konstatiert, dass sich der Anleihemarkt in einen Verkäufermarkt gewandelt habe. Das Angebot an renditestarken Zinspapieren ist überschaubar, die Nachfrage riesig. „Es ist zu beobachten, dass die Anleger auf der Suche nach Rendite zunehmend ungeduldig werden“, erklärt der Fidelity-Experte. Das hänge auch mit dem aktuellen Marktzyklus zusammen, der gekennzeichnet sei von gesunkenen Ausfallraten, engeren Spreads, einer steigenden Verschuldung der Unternehmen und längeren Laufzeiten der Anleihen. „Alles Anzeichen dafür, dass wir uns in der Spätphase des Marktzyklus befinden.“ Insgesamt erleichtere die Übernachfrage nach Anleihen den Emittenten, die Schutzklauseln aufzuweichen. Ein Prozess, der seit 2011 zu beobachten ist, wie die Entwicklung des Moody’s Covenant Quality Indicator zeigt (siehe Grafik).
Covenant-Qualität lässt nach
Viele Unternehmen hätten zugleich die historisch niedrigen Zinsen genutzt, um sich günstig zu refinanzieren und längere Laufzeiten zu sichern. Als Folge daraus sei sowohl in den USA als auch in Europa die Verschuldung der Unternehmen in allen Bereichen der Kapitalstruktur gestiegen, wobei in vielen Fällen die Renditeaufschläge keinen Ausgleich für das zusätzliche Risiko beinhalten würden. Überdies dürften die Ausfallraten nicht dauerhaft so niedrig bleiben, weshalb der Anleiheauswahl unter Berücksichtigung der Covenants zentrale Bedeutung zukomme, so Dropkin.
Die Macht der Kreditschutzklauseln
Als „vollwertig“ gilt eine Ausstattung mit Covenants, die Schutz bezüglich folgender Aspekte bietet: Verschuldungsniveau, Pfandrechte, Transaktionen von Tochterfirmen, Beschränkungen hinsichtlich Dividenden und anderer Zahlungen, Sale-and-Leaseback-Transaktionen, Verkauf von Aktiva und reglementierten Tochterfirmen, künftige Bürgschaften für Tochterfirmen, Fusionen/Konsolidierungen und Offenlegung. Doch Emittenten versuchen vermehrt, die Klauseln bezüglich Restricted Payments und bestimmter Finanzkennziffern aufzuweichen. Diese Klauseln sollen die Möglichkeiten des Emittenten begrenzen, Zahlungen außerhalb des Gläubigerpools zu tätigen, um die Vermögenswerte des Emittenten für die Forderungen des Gläubigerpools zu schützen.
Unter dem Strich besteht nach Dropkins Erfahrung die Gefahr, dass Anleiheemittenten beziehungsweise Private-Equity-Finanziers durch eine Aufweichung dieser Klauseln Zahlungen oder Ausschüttungen an sich selbst vornehmen. In anderen Fällen könnten sie versuchen, Investitionen zugunsten von Tochterunternehmen zuzulassen, lediglich mit der Einschränkung, dass die Investitionen aus Erträgen finanziert werden, die im Einklang mit besagten Klauseln vereinnahmt werden.
Eine solche Regelung hätte jedoch schwerwiegende Implikationen. In einem ersten Schritt könnten Liquidität und Aktiva zu Tochterfirmen verschoben werden, die nicht für die Anleihe bürgen, die dann in einem zweiten Schritt die entsprechenden Summen in nicht dem Regelwerk des Anleihevertrags unterliegende Tochterfirmen investieren. Sind die Mittel indes dort angelangt, unterliegen sie nicht mehr den Covenant-Vorgaben der Anleihe.
Ein anderes Beispiel ist das Kündigungsrecht für Anleger, das verhindert, dass sie eine Anleihe weiterhin halten müssen, wenn etwa ein hochverschuldeter Aufkäufer den Anleiheschuldner übernimmt. In dem Fall, in dem der Mehrheitseigentümer wechselt, können Anleihen zu 101 Prozent des Nennwerts zuzüglich aufgelaufener Zinsansprüche an den Emittenten zurückgegeben werden. Seit einiger Zeit versuchen Emittenten jedoch, auch dieses Kündigungsrecht auszuhebeln.
Regeln für Finanzkennziffern
Finanzkennziffern sind für Anleger ein wesentliches Instrument, um die Solidität eines Unternehmens und der darin getätigten Investitionen zu überwachen. Außerdem stehen eine Vielzahl von Kreditschutzklauseln mit bestimmten Finanzkennziffern in Verbindung. Beispielsweise bestimmen sie darüber, wie viel zusätzliche Schulden ein Unternehmen aufnehmen kann, oder ob es Spielraum für vertraglich reglementierte Zahlungen an Empfänger außerhalb des Gläubigerpools gibt.
Auch hier ist laut Dropkin festzustellen, dass Anleiheemittenten in letzter Zeit vermehrt versuchen, die Regelungen zur Berechnung von Finanzkennziffern flexibler zu gestalten. Etwa, indem sie bei der Aufnahme von Schulden ein bestimmtes Datum auswählen, das sie bei der Berechnung zugrunde legen. Damit ließen sich die Kennzahlen in positiverem Licht darstellen oder die Transparenz einschränken. Hinzu komme, dass der Emittent den Anleiheinhabern nur in begrenztem Umfang offenlegen muss, welcher Berechnungszeitpunkt bei welcher Gelegenheit verwendet wurde. Dies mache es schwieriger, die Kennziffern zu verifizieren und zu prüfen, ob durch eine Maßnahme des Unternehmens eine Kreditschutzklausel verletzt wurde, wie Dropkin ergänzt.
Schutz der Investoren
Aus Sicht des Fidelity-Experten ist es für Anleihekäufer unumgänglich, das zugehörige Regelwerk akribisch durchzuarbeiten. Anleger müssen Klarheit darüber gewinnen, welche Rechte sie haben. „Besonders zu beachten sind die Verschuldungsgrenzen eines Emittenten, die als Sicherheit für die Anleihe dienenden Aktiva und die Frage, ob er vorrangige Schulden aufnehmen kann“, beschreibt Dropkin. In einigen Fällen werde man den Emittenten drängen müssen, bestimmte Klauseln zu ändern, in anderen gezwungen sein, auf den Kauf der Anleihe gänzlich zu verzichten.
„Ungeachtet des Drucks auf die Qualität der Kreditschutzklauseln bestehen aus unserer Sicht nach wie vor gute Anlagechancen am Anleihemarkt“, resümiert Dropkin. Dies erfordere aber in jedem Fall eine gründliche Einzelfallprüfung – „eine Fundamentalanalyse mit eingehender Prüfung der Covenants, um ein bestmögliches Anlageergebnis zu erreichen.
Hinweis: Dieser Beitrag ist zuerst erschienen in TiAM – Trends im Asset Management 04/2018
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