Corona – übernimmt jemand Verantwortung?

  • Dr. Christopher Smart
  • Barings

FRANKFURT – Dr. Christopher Smart vom Barings Investment Institute beklagt, dass es angesichts der Bedrohung durch das Coronavirus keinen Plan gebe – und niemand Verantwortung übernehme. Er fordert gemeinschaftliches Handeln – etwa durch eine Wiederbelebung der G-20.

Zu den Helden der globalen Finanzkrise von 2008 gehörten die führenden Politiker der Welt, die sich im November 2008 in Washington versammelten, um auf die einbrechenden Märkte zu reagieren. Sie diskutierten über fiskal- und geldpolitische Maßnahmen zur Stützung der Wirtschaft. Sie versprachen Reformen der Finanzmärkte und Mittel zur Unterstützung der Schwellenländer. Sie verzichteten sogar auf Protektionismus und verpflichteten sich, die Verhandlungen zum Freihandel zu forcieren.

Was die Märkte dieser Tage am meisten erschrecken dürfte, ist die Erkenntnis, dass es keinen Plan gibt – und niemand Verantwortung übernimmt. Es gab bisher nur sehr wenig Koordination darüber, wie Covid-19 am besten eingedämmt werden kann. Es gab keine nennenswerte Diskussion über eine finanzielle oder wirtschaftliche Reaktion außer einer schwachen Erklärung der G-7-Finanzminister und Zentralbankgouverneure in der vergangenen Woche. Noch schlimmer ist, dass Russland und Saudi-Arabien den globalen Schock zu nutzen scheinen, um ihre enge Öl-Agenda voranzutreiben.

Die Märkte reagierten 2008 nicht sofort auf das G-20-Treffen, das Präsident George W. Bush hastig einberufen hatte, aber es gab ein klares Gefühl, dass die politischen Entscheidungsträger alle in die gleiche Richtung zogen. Auf späteren Gipfeltreffen in Pittsburgh und London wurden konkretere Maßnahmen ergriffen, darunter neue Staatsausgaben, koordinierte Anstrengungen zur Stabilisierung der Finanzmärkte, eine bessere Bankenregulierung und zusätzliche Mittel für den Internationalen Währungsfonds und die Weltbank. Es war ein wichtiger Teil der Wiederherstellung des Vertrauens in die Märkte, die buchstäblich die Orientierung verloren hatten, und innerhalb von Monaten begannen die Preise langsam und stetig wieder zu steigen.

Die heutige G-20 operiert in einem ganz anderen Kontext. Ihre beiden größten Volkswirtschaften haben ungeachtet des jüngsten Waffenstillstands einen eskalierenden Handelskrieg begonnen. Die Europäische Union hat gerade ihre zweitgrößte Wirtschaft verloren. Japans schwache Wachstums- und Inflationsraten lassen alle anderen erschauern.

Nicht zu vergessen die Spiele zwischen Moskau und Riad. In einer anderen Zeit könnte man erwarten, dass Washington vermittelt, aber diese Tage sind längst vorbei, wenn man bedenkt, wie weit sich die Beziehungen zu Russland verschlechtert haben. Tatsächlich scheint es so, als ob Präsident Wladimir Putin den Corona-Virus-Schock zumindest teilweise nutzen könnte, um den US-Schieferölsektor, der die Energieunabhängigkeit Amerikas untermauert, zu schädigen.

In vielerlei Hinsicht erinnert die heutige Welt an die finanziellen Turbulenzen vor der Großen Depression, als Kurzsichtigkeit und scharfe Ellbogen zwischen den größten Volkswirtschaften der Welt einen Zusammenbruch des goldgestützten Geldsystems auslösten, den niemand wirklich beabsichtigt hatte. Natürlich erscheint die Gefahr eines militärischen Konflikts hundert Jahre später ganz anders, aber das Gefühl der Unordnung nimmt zu.

Es scheint altmodisch und etwas witzlos zu sein, mehr „Führung“ zu fordern, die zu selbstlosen Akten der Zusammenarbeit inspirieren könnte.

Was wäre, wenn die G-20-Regierungen ihre Gesundheitsminister einberufen würden, um sich über Eindämmungsstrategien auszutauschen? Die Fähigkeit Chinas, wichtige Megastädte zu isolieren, kann in Europa oder den Vereinigten Staaten nicht angewandt werden, aber Japan und Korea haben etwas richtiggemacht, da sich die Infektionsraten dort stabilisieren.

Die Regierungen haben einen Flickenteppich von fiskalischen Maßnahmen angekündigt, um auf den wirtschaftlichen Schock durch das Virus zu reagieren, und die Federal Reserve Bank war die wichtigste Zentralbank, die die Zinsen gesenkt hat. Wäre es aber nicht schön, wenn die Finanzminister und Zentralbankchefs intensive Konsultationen einleiten würden, um ihre Reaktion zu koordinieren? In dem siebenseitigen Kommuniqué ihres Ministertreffens vom 24. Februar wird „die Risikoüberwachung, auch des jüngsten Ausbruchs von COVID-19“ erwähnt.

Das Bekenntnis zum Freihandel könnte ein Teil des neuen Verhandlungsparadigmas der US-Regierung sein. Was wäre, wenn die USA und China die verbleibenden Zölle zumindest vorübergehend abschaffen würden, um den Schock des Virus abzufedern?

In der Welt von 2008 wirkten noch die Spätphasen des Kalten Krieges nach. Washington sprach von einer Neuordnung der Beziehungen zu Moskau. Der Westen begrüßte die Bemühungen Chinas, die Weltwirtschaft wieder in Schwung zu bringen. Dieser gute Wille ist nun Mangelware.

Die vielleicht schwerste Hürde für eine rasche Wiederbelebung der G-20 ist, dass Saudi-Arabien, welches die Weltenergiemärkte in Turbulenzen gestürzt hat, dieses Jahr der Gastgeber ist. Die Tradition besagt, dass der Gastgeber die Tagesordnung gestaltet und die Treffen einberuft, aber Washington oder Tokio – oder jeder andere – könnte den Ball ins Rollen bringen.

Es bräuchte nicht viel, um anzudeuten, dass jemand die Verantwortung übernimmt.

Hinweis: Dieser Beitrag ist zuerst erschienen auf focus.de

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