Blockchain: neue Gesetze im Asset-Management

  • Dr. Sven Hildebrandt
  • DLC

FRANKFURT — Blockchain ist nicht nur Bitcoin und Co, sondern eine Technologie mit unglaublichem Disruptionspotenzial – vor allem in der Finanzbranche. Intermediäre könnten verdrängt werden und Asset-Manager, Depotbanken sowie Investoren gewaltig Kosten sparen. Doch noch ist es nicht so weit.

Die Gesamtausgaben von Unternehmen und Regierungen für Blockchain-Aktivitäten dürften laut der International Data Corporation (IDC) im Jahr 2019 rund 2,9 Milliarden US-Dollar betragen, was einem Wachstum von 89 Prozent gegenüber dem Vorjahr entspricht. Damit wird das Potenzial von Blockchain, oder präziser gesagt Distributed Ledger, intensiv ausgebaut. Der Begriff steht für gemeinsam genutzte und von einer Partei im Netzwerk allein nicht veränderbare, dezentrale Register.

Indem die Daten des Registers auf vielen Computern gespeichert sind und Veränderungen nur dann erfolgen können, wenn diese konsensual im Netzwerk erfolgen, können diese Netzwerke zentrale Intermediäre wie Clearstream auf kostengünstige und sehr sichere Art und Weise ersetzen. Zwar muss die Technologie noch einige Hemmschwellen überwinden, allerdings deutet die derzeitige Entwicklungsgeschwindigkeit darauf hin, dass spätestens im Jahr 2020/2021 eine Massenadaption von Blockchain-Anwendungen beginnen wird.

Für Investoren, Asset-Manager sowie die weiteren Beteiligten des Finanzsystems wie Verwahrstellen, Kapitalverwaltungsgesellschaften oder auch Depotbanken werden Distributed Ledger aufgrund ihrer Funktion als „Demokratisierer von Vertrauen“ fundamentales Disruptionspotenzial besitzen. Denn durch sie wird es möglich, faktisch jedes Gut – also Real Assets wie Immobilien oder Financial Assets wie Aktien – in Form eines Token (siehe Kasten Seite 88) ohne Zuhilfenahme eines vertrauensstiftenden Intermediärs sehr günstig zu kreieren und zu transferieren.

Relevanz von Distributed Ledger
Auf dieser Basis sind konkret drei große Teilbereiche in der Finanzindustrie zu erkennen, in denen Distributed Ledger eine maßgebliche Rolle spielen werden:

  • Digital Assets“ dürften sich nach Ansicht vieler Experten zu einer eigenen Assetklasse entwickeln – und zwar explizit auch die derzeit ein wenig in Vergessenheit geratenen Currency- und Utility-Token. Zwar verbriefen diese nicht, wie die derzeit häufig in Rede stehenden Security-Token, wertpapierähnliche Rechte, könnten sich aber bei entsprechender Marktdurchdringung und einem adäquaten Nutzungsszenario durchaus als interessantes Asset anbieten. 
Obgleich diese Token in den vergangenen Jahren eine stattliche Volatilität aufwiesen, war die Outperformance des gesamten Token-Markts auf Fünfjahressicht – auch nachdem die Blase von 2017/18 geplatzt war – im Vergleich zu faktisch allen anderen Assetklassen beeindruckend. Zudem weisen Digital- und Krypto-Assets bislang keine nennenswerten Korrelationen zu den etablierten Assetklassen auf. Kryptowährungen könnten sich deswegen – auch wenn es vielleicht etwas absurd klingen mag – durchaus als Elemente für die Risikominimierung eines Portfolios anbieten. Selbstverständlich ist eine Investition in diese Assets aber immer auf Grundlage einer Fundamentalanalyse zu prüfen.
  • Zweitens werden Distributed Ledger 
die Art und Weise, wie Rechte an Wertpapieren von A nach B transferiert und auch verwahrt werden, fundamental verändern. Zwar bleibt bislang abzuwarten, welche regulatorischen Aspekte an dieser Stelle greifen werden. Betrachtet man aber beispielsweise die sehr progressive Stellungnahme des BVI Bundesverband Investment und Asset Management auf das Eckpunktepapier zur regulatorischen Behandlung von elektronischen Wertpapieren und Krypto-Token, wird klar, wohin die Reise geht. So wird unter anderem die Erlaubnis der direkten Investition in Kryptowährungen wie Bitcoin für Fonds gefordert, neben der fast schon als gesetzt erscheinenden Ausführung, dass die Abbildung aller Wertpapierarten (Aktien, Anleihen, Fondsanteile) natürlich auch in Form von Token möglich sein sollte. Von tradierten Finanzprodukten wie Zertifikaten oder ETNs, über die dies bislang über Umwege dargestellt wurde, ist in dem Zusammenhang überhaupt keine Rede mehr. Und wenn nun immer öfter mobile Endgeräte bereits mit einer vorinstallierten „Wallet“ verkauft werden, wie schon jetzt beim Samsung Galaxy S10, hat jeder Besitzer eines solchen Telefons sein Depot gleich immer mit dabei. Und das, ohne jemals eine (Depot-)bank gesehen – und für das Depot bezahlt – zu haben.
  • Durch Distributed Ledger in Kombination mit Smart Contracts (Computerprogramme, die bei Vorliegen bestimmter Fallkonstellationen automatisch bestimmte Handlungen ausführen) werden drittens neue Investmentvehikel geschaffen, die ohne diese Technologie unmöglich wären. An dieser Stelle sehen wir vor allem Micro-Investments und die komplette Disruption der Investmentfondswelt. Grund: Viele der bisherigen Investmentfonds könnten – was die Prüffunktionen von Kapitalverwaltungsgesellschaft und Verwahrstelle angeht – komplett durch Smart Contracts abgebildet werden, da es durch das unveränderbare Register keine Spielräume mehr gibt und somit etwa die Funktion des Risk Managements eine Transformation durchläuft. 

Offene Fragen bleiben
Aber was sagt der Reality Check? Wo sind – wenn die Technologie doch so überlegen ist – die mannigfaltigen Use Cases? Die Antwort lautet: in Entwicklung und Erprobung – aber noch sieht man nicht viel. Einer der First Mover war interessanterweise die Weltbank, die in Kooperation mit anderen Instituten bereits 2018 eine Anleihe mithilfe der Blockchain-Technologie ausgab. Ein anderes Beispiel für die Entwicklung ist die Emittierung eines immerhin 100 Millionen Euro schweren Schuldscheins, den die LBBW gemeinsam mit Daimler ausgegeben hat.
Wurden die ersten Tests vornehmlich im Umfeld professioneller Marktteilnehmer durchgeführt, hat Deutschland in diesem Jahr mit dem Bitbond auch seinen ersten von der Bafin als Wertpapier anerkannten Security-Token gesehen. Es ist zudem davon auszugehen, dass im Jahr 2019 noch etliche Security Token Offerings (STOs) folgen werden. Brancheninsider sprechen von bis zu 150 Anträgen, die derzeit bei der BaFin auf ihre Bearbeitung warten.

Hindernisse auf dem Weg
Ungeachtet dieser Entwicklungen sind aktuell allerdings auch einige restriktive Faktoren gegeben. Neben der weiterhin bestehenden regulatorischen Unklarheit seien an dieser Stelle noch Themen im Hinblick auf die Datenschutzgrundverordnung sowie Skalierungsthemen im Hinblick auf die zugrundeliegenden Blockchain-Protokolle genannt.

Andererseits sei zugleich ein Verweis auf das Internet der 90er-Jahre erlaubt. Jeder, der die Entwicklung miterlebt hat, wird sich an hitzige Diskussionen von Juristen erinnern, wie denn in diesem „neuen Medium“ ein gültiger Vertrag zustande kommen könne. Alles passé: Heutzutage werden in gewissen Alterskategorien bis zu 80 Prozent aller Weihnachtseinkäufe ausschließlich online getätigt. Und während man den neuesten Blockbuster auf dem Tablet anschaut, erinnert man sich kaum noch daran, mit welchem Umstand es verbunden war, ein 56k-Modem an die Telefonbuchse anzuschließen.
Was das Thema Datenschutz angeht, sind aktuell ebenfalls bereits Lösungen vorhanden, welche die Einhaltung von KYC (Know your Customer) und AML (Anti Money Laundering) mittels sogenannter „Zero Knowledge Proof“-Technologie ermöglichen. Auf diese Weise kann das Individuum zwar nicht „vergessen“ werden, aber die Rückverfolgbarkeit beziehungsweise Bezugnahme auf das Individuum ist nicht mehr möglich (obwohl die KYC- und AML-Richtlinien eingehalten werden).

Abschließend ist zu konstatieren, dass sich der Blockchain-Markt mit enormer Geschwindigkeit entwickelt und die Technologie den Kern von Finanzdienstleistungen – das Vertrauen – „disruptiert“. Im positiven Sinne, denn letztlich sind diese „Vertrauenskosten“ zumindest den Investoren ein Dorn im Auge, da sie die Rendite minimieren. Aber natürlich finden sich auch die Anbieter von „Vertrauen“, deren Aufgaben in der Zukunft unseres Erachtens zwar nicht gänzlich verschwinden, sich aber maßgeblich verändern werden.

Ein neues Miteinander wird notwendig
Auf Basis der bisherigen Entwicklungen gehen wir davon aus, dass Distributed Ledger einen ähnlichen Einfluss auf die Finanzindustrie haben wird, wie die Erfindung des Internets für den Postversand. Bedeutet dies andererseits, dass es in fünf Jahren keinen Finanzdienstleister klassischer Couleur mehr geben wird? Sicherlich nicht! Allerdings wird sich ein neues Miteinander entwickeln (müssen), bei dem wir noch ganz am Anfang stehen.

Dr. Sven Hildebrandt ist Partner der DLC Distributed Ledger Consulting GmbH. Nach Studium und Promotion in BWL war Hildebrandt sowohl in unterschiedlichen Agenturen als auch in Unternehmensberatungen im Finanzdienstleistungssektor aktiv. Bevor er in die DLC eintrat, die sich allen mit Digital Assets assoziierten Themen im Finanzmarktumfeld widmet, wirkte er unter anderem für die HANSAINVEST.

Hinweis: Dieser Beitrag ist zuerst erschienen in TiAM – Trends im Asset Management 02/2019
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